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All Better now von Neal Shusterman

Ich kannte Scythe des Autors, aber das bereitet einen nicht auf diesen riesigen Spaß vor. In einer Locus-Rezension wurde es als "die YA Antwort auf The Stand" beschrieben. Das ist zwar eine Beschreibung, die mich dazu gebracht hat, das Buch zu kaufen und zu lesen, aber ganz treffen ist es nicht. 

 

Zunächst ist es keinesfalls eine Dystopie, in der mehr als 90 Prozent der Menschen sterben. Der Virus, Crown Royale, ist ungefähr so ansteckend wie COVID (und keinesfalls so ansteckend wie die Supergrippe / Käptn Trips) und es ist auch nicht so tödlich, wobei (zunächst) durchaus 4% die Krankheit nicht überleben. Dies gilt vor allem für sehr junge, sehr alte, vorerkrankte Menschen, und, seltsamerweise, Menschen mit Farbenblindheit (hier vor allem das Fehlen der Fähigkeit, die Farbe blau zu sehen). 

 

Wer aber die Krankheit überlebt, wird auf eine interessante Art erleuchtet. Die Prioritäten verändern sich, andere Dinge werden wichtig, andere unwichtig. Besitz verliert an Bedeutung, reiche Menschen verschenken ihre Reichtümer und ziehen mit dem Rucksack los, andere verschenken ihre Villen und ziehen fortan mit ihrer Yacht durch die Welt. Es wird sehr wichtig, anderen Menschen zu helfen, ggf. Leben zu retten und man wird netter, schadet anderen Menschen weniger. Ganz gut wird das gezeigt an einer Nebenfigur, die nur kurz auftaucht. Sie ist sehr religiös und hat einen schwulen Sohn, den sie vorher aufgrund seiner Homosexualität sehr zugesetzt hat. Nachdem sie von Crown Royale genesen ist, ist sie zwar noch immer religiös, setzt ihrem Sohn aber nicht mehr zu und erlaubt ihm nun, seinen Freund mit nach Hause zu bringen. Sie entschuldigt sich sogar und meint, eine Mutter sollte ihren Sohn so behandeln, "selbst wenn er es verdient hat". So ganz hat sie ihren alten Werten also nicht abgeschworen. Es ist eine krasse Veränderung, aber es gibt noch eine Menge von dem, was einen vorher ausgemacht hat, auf eine Art (beurteilt selbst!).

 

Der Weltenbau ist schon sehr cool, aber die Story, der Konflikt und vor allem die Figuren sind noch besser. Die Hauptfiguren sind Rón und Mariel, junge Leute, die aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen kommen. Mariels Leben war in den letzten Jahren sehr hart, sie wohnte mit ihrer Mutter in einem Auto, nachdem die Mutter wegen Long Covid zunächst ihren Job und dann auch alles andere verloren hatte, bis auf das Auto eben, das aber auch immer weiter herunterkommt.  Und dann erkrankt ihre Mutter an Crown Royale ...

 

Rón hingegen ist der Sohn des drittreichsten Mannes der Welt, Blas Escobado (übrigens auch eine sehr liebevolle und detailreich ausgestaltete Nebenfigur) und kämpft mit Depressionen und seinen Platz in der Welt. Als jemand, der unter Farbenblindheit leidet (er kann kein Blau sehen), ist er besonders gefährdet, an Crown Royale zu sterben. Doch er riskiert eine Infektion, nicht sein erster Selbstmordversuch, allerdings könnte er ja auch überleben und endlich glücklich werden.

 

Dann gibt es eine der besten, sehr gut geschriebenen Antagonistinnen ever: Morgan. Wir erleben Morgan auf dem Weg von der Schweiz in die UK zu einem wichtigen Job-Interview und wie sie dafür sorgt, den Flieger nicht zu verpassen. Es ist schon toll, wie Morgan immer wieder gegen meine Werte verstößt und Dinge tut, die ich eigentlich stark ablehne, ich aber trotzdem auf eine Art hoffe, dass sie nicht scheitert. Ihre Ziele sind durchaus nachvollziehbar.

Das Job-Interview hat sie bei der besten Nebenfigur des Romans, Dame Havilland, eine alte, sehr strenge Frau, die viel Geld und Macht besitzt, sich aber mit Crown Royale infiziert hat. Sie geht davon aus, dass sie sterben wird und falls nicht, dass sie danach eine andere sein wird. So überträgt sie ihr gesamtes Vermögen an Morgan, mit dem Auftrag, sie möge Crown Royale auslöschen. 

Doch natürlich überlebt Dame Havilland Crown Royale - entsprechend verändert - und hat andere Pläne, doch ihr Vermögen ist nicht mehr in ihren Händen und sie begreift, dass sie Morgan stoppen muss. Doch hat sie nun deutlich weniger Möglichkeiten und gewisse Strategien (wie Erpressung) stehen ihr auch nicht mehr zur Verfügung, da sie als von Crown Royale geheilte einfach nicht mehr fies genug dafür ist. Unterwegs ist sie mit ihrem ehemaligen Butler und dieses Team macht viel Spaß.

 

Es gibt ab und zu andere Perspektiven, die viel von dieser veränderten Welt beleuchten oder auch dem Hauptplot dienen, einiges an Ideen (jemand ist immun, jemand bleibt auch nach der Genesung noch ansteckend, jemand anderes genest sogar zweimal von Crown Royale und lebt dann in komplett erleuchteten Gefilden, die Wirtschaft leidet, wegen des Lockdowns und weil die geheilten keinen Mist mehr kaufen, sondern alte Dinge reparieren lassen).

 

Wäre es nicht gut, hier einfach die gesamte Menschheit zu infizieren und danach hätte man eine Menschheit, die keine Kriege mehr ausfechtet und gemeinsam gegen den Klima-Wandel kämpft? Niemand hätte mehr das Bedürfnis, superreich zu sein und die Ressourcen würden endlich für alle reichen? Und dürfte man das einfach entscheiden, für den Preis, dass 4% der Menschheit dann stirbt? Aber sterben nicht viel mehr, wenn wir den jetzigen Kapitalismus einfach laufen lassen?

Ich fand diesen Konflikt sehr interessant, auch wenn einiges davon vermutlich beim Lesen nur in meinem eigenen Kopf stattfand, der Autor gestattet mir ausreichend Leerstellen und Freiheit, mir meine eigenen Gedanken zu machen, während der den Plot voranbringt und mir einen Twist nach dem anderen beschert.

Hochgradig unterhaltsam UND regt zum Nachdenken an. Hat mir außerordentlich gut gefallen Ich hoffe, es wird übersetzt.

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