Max Barry: Logoland
Orig.: Jennifer Government, 2003
Heyne, München, 07/2003, Taschenbuch, ISBN 3-453-86947-8
Stellen wir uns vor, jeder Arbeitnehmer benutzt als Nachnamen den Namen der Firma, bei der er beschäftigt ist. Schulen und Universitäten werden von Unternehmen wie Mattel oder McDonalds gesponsert und Auftragsmorde stellen eine ganz normale Dienstleistung dar, die man outsourcen kann. Die Wirtschaft unterliegt kaum noch staatlichen Regelungen und Straftaten werden nur noch verfolgt, wenn die Geschädigten die Kosten dafür übernehmen. Wer wissen will, wie eine Welt aussehen könnte, in der Donald Trumps und Elon Musks Ideen Wirklichkeit geworden sind, dem sei Max Barrys satirischer Roman „Logoland“ empfohlen, der schon vor mehr als zwanzig Jahren einen prophetischen Blick in eine vielleicht gar nicht mehr so ferne Zukunft geworfen hat.
In „Logoland“ gehören ganz Nord- und Südamerika, Russland, Indien und Ozeanien zum US-amerikanischen Wirtschaftsraum oder ist – wie Australien – gleich den USA beigetreten. Nur Afrika, der Mittlere Osten und das störrische „Old Europe“ (mit Ausnahme von Großbritannien, das ebenfalls beigetreten ist) verweigern sich und halten an ihrer Unabhängigkeit und ihrer bisherigen Wirtschaftsordnung fest. John Nike, ein ebenso ehrgeiziger wie skrupelloser Manager in der Niederlassung Melbourne hat eine geniale Idee, um den Umsatz der neuesten Produktlinie von Nike in bisher ungeahnte Höhen zu treiben: Ein Killer soll zehn Jugendliche erschießen, die in einer Shopping Mall gerade die begehrten neuen Sneaker ergattert haben, und so der Zielgruppe vor Augen führen, dass man für die neuen Sneaker tatsächlich töten könnte. Der Coup gelingt. John Nike wird im Konzern schlagartig berühmt und absolviert – auch dank seiner neuen Freunde von der NRA (National Rifle Association), die die Drecksarbeit für ihn erledigen - einen kometenhaften Aufstieg bis an die Konzernspitze. Einziger Wermutstropfen ist Jennifer Government, eine Bundesagentin, die eine gemeinsame Vergangenheit mit John Nike verbindet und ihm unbedingt das Handwerk legen will. Während John Nike sich einen irrwitzigen Krieg mit der Konkurrenz um Umsatzanteile und Treueprogramme liefert und die Regierung gleich ganz abschaffen will, heftet sich Jennifer Government an seine Fersen und versucht, seine üblen Machenschaften aufzudecken und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Am Ende kommt es ebenfalls in einer Shopping Mall zum Showdown.
In „Logoland“ kontrollieren die großen Konzerne alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Bildung, Medien, Verkehr, Gesundheitswesen - alles wird durch die Wirtschaft finanziert und ist dementsprechend nur auf Gewinn ausgerichtet. Kinder werden in von Konzernen gesponserten Schulen von klein auf an bestimmte Marken gebunden, bestimmte Dienstleistungen sind ohne Mitgliedschaft in Treuprogrammen der Firmen nicht mehr erhältlich. Staatliche Institutionen sind auf ein Mindestmaß reduziert worden und mangels Budget kaum noch handlungsfähig. So müssen die Eltern der ermordeten Kinder sich bereit erklären, für die Kosten der Bundesbehörde aufzukommen. Andernfalls fehlen der Behörde die finanziellen Mittel, um die Mörder zu verfolgen. Die Polizei bessert ihr Budget auf, indem sie Mordaufträge vermittelt. Die Sicherheitsdienste der Konzerne mutieren zu Privatarmeen, ausgestattet mit modernsten Waffen, denen die Regierung nichts entgegen zu setzen hat. Auf der Jagd nach Marktanteilen und Profit gehen die Konzerne buchstäblich über Leichen. Ethik, Mitgefühl, soziale Verantwortung sucht man in dieser Gesellschaft vergeblich. In einer der beklemmendsten Szenen des Romans versucht ein Zeuge des Massakers in der Shopping Mall, einen Krankenwagen zu rufen, scheitert aber an der Telefonistin des Krankenhauses, die zuerst prüfen muss, ob das Opfer auch zahlungsfähig ist.
John Nikes Erfolg beruht nicht allein auf seiner Skrupellosigkeit und Geschäftstüchtigkeit, sondern vor allem darauf, dass die Gesellschaft Menschen wie ihm den Boden bereitet. Er hat Erfolg, weil er die Schwäche des Staates ausnutzt und gnadenlos offenlegt. Und je größer sein Erfolg, desto mehr wird er hofiert und bewundert.
Jennifer Government ist der Gegenentwurf zu John Nike. Sie repräsentiert den Staat, der versucht, ein Mindestmaß an Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Einen Staat, der in „Logoland“ eigentlich schon am Ende ist, aber genausowenig sterben will wie Jennifer Government. Sie hat nach einem traumatischen Erlebnis ihre Karriere in der Werbebranche aufgegeben, um als Regierungsagentin Verbrechern das Handwerk zu legen. Sie ist knallhart, unbestechlich und bereit, ihr Leben zu riskieren, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Sie verkörpert ein Ideal, all das Gute, für das Amerika in der Populärkultur steht: den Glauben an Recht und Gerechtigkeit, die Überzeugung, dass die Verbrecher für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden und niemand ungestraft davon kommt. „Jennifer Government“ - so lautet auch der Originaltitel des Romans. Sie ist John Nikes Nemesis, die einzige, vor der er Angst hat, weil er weiß, dass er sie weder bestechen noch einschüchtern kann.
Nike, McDonalds, Burger King, Mattel - Barry teilt hier gnadenlos gegen die großen Konzerne aus, gegen die hemmungslose Kommerzialisierung und die wachsende politische Einflussnahme. Zugleich zeigt er die Folgen einer Entmachtung des Staates auf, wie sie gerade jetzt von Trump und Musk propagiert wird. Immer weniger staatliche Gewalt zugunsten immer größerer wirtschaftlicher Macht. Knallhart geht er auch die NRA an, die in „Logoland“ zum Staat im Staat wird, fähig, Regierungen nicht nur durch den massiven Einsatz von finanziellen Mitteln und politischer Lobbyarbeit zu stürzen, sondern bei Bedarf Söldner und Waffen für einen Putsch bereitzustellen. „Logoland“ war 2003 noch als Satire gedacht. Bissig, witzig, pointiert, wobei das Lachen oft genug im Halse stecken bleibt. Vieles in „Logoland“ erscheint aber angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in den USA inzwischen erschreckend real. Ein Roman, der die Wiederentdeckung lohnt. Unbedingt empfehlenswert!
Christine (Chris) Witt