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Wie schön wir waren von Imbolo Mbue

Kosawa ist ein afrikanisches Dorf, in dem die Firma Pexton Öl gewinnt und die Pipelines eher nachlässig sicher.

Nach und nach wird der Boden und das Wasser vergiftet. Menschen, vor allem Kinder, werden krank und sterben.

Ein jahrzehntelanger Weg des Protests beginnt, mal friedlich, mal weniger friedlich, und ich darf beobachten, wie der protagonistische Körper (1. Person Plural, eine Generation der Kinder, die dort aufwächst und deren Zahl immer weiter schrumpft) damit umgeht und lebt.

 

Der Roman spielt nicht in der Zukunft, er beginnt ca. um 1980 und zieht sich ungefähr bis zu unserer Gegenwart. 

Die Struktur des Romans

Es ist nicht ganz einfach, in den Roman hineinzukommen. Jedes zweite Kapitel, so auch das erste, ist in der ersten Person Plural verfasst. Die Zwischenkapitel sind jeweils aus der ersten Person Singular, aus jeweils einer anderen Perspektive eines Dorfbewohnenden verfasst. Erst nach und nach begreife ich, dass der Protagonist des Romans jedoch die Wir-Form ist, die Kinder, die dort in dem Dorf Kosawa aufwachsen, nachdem Pexton begonnen hat, die Gegend und das Wasser zu vergiften.

 

Wenn ich Climate Fiction aus westlichen Ländern (Mitteleuropa, USA, Kanada) lese, ist es immer etwas, das ungefähr jetzt beginnt und möglicherweise in der nahen Zukunft sehr übel wird. 

Climate Fiction aus afrikanischen Ländern hingegen: Die meisten Katastrophen liegen bereits in der Vergangenheit. Aufgrund (meist westlicher, aber nicht nur, die ortsansässige Regierung wird hier ausdrücklich mit benannt) Profitgier leiden bestimmte Bevölkerungsgruppen, einfach, weil ihre Stimmen zu schwach sind. Der Westen nimmt es hin (wobei es hier leichte Hilfe seitens der USA gibt, es gibt also nicht eine generelle Nicht-Anteilnahme, das Thema wird durchaus komplex geschildert), weiß ggf. nicht einmal etwas davon. 

 

Die Zwischenkapitel werden stets von sehr unterschiedlichen Figuren erzählt. Wir haben:

Thula, die die Perspektive erhält, als sie noch ein Kind ist. Sie gehört zu der größeren Wir-Gruppe, die den protagonistischen Körper stellt. Ihr Vater gehörte zu den Männern, die zwecks Hilfesuchung/Beschwerde in die Stadt gegangen ist. Aber ihr Vater kehrt nie zurück und irgendwann müssen sie sich damit abfinden, dass er den Tod gefunden hat. 

Thula ist sehr gut in der Schule und wird später als einziges Mädchen zur höheren Schule gehen und als einzige ihrer Altersgruppe in den USA studieren und dort einige Jahre verbringen, bevor sie zurückkehren wird.

 

Bongo, ist Thulas Onkel, der Bruder ihres Vaters. Er übernimmt für kurze Zeit die Führung des Dorfs. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Die Frau, die er als Ehefrau vorgesehen hatte, hat ihn wegen eines Mannes verlassen, der besser situiert ist. 

 

Sahel ist Thulas Mutter. Eigentlich darf sie nach dem Tod ihres Mannes keinen neuen Mann nehmen. Nach langer Zeit hat sie aber trotzdem einen neuen Mann, da die Zeiten sich ändern. Sie hat viele Kinder schon während der Schwangerschaft verloren, was vermutlich mit dem verseuchten Grund und Wasser zu tun hat. Nur zwei Kinder haben überlebt, Thula und Juba.

 

Yaya ist Thulas Oma, die Mutter von Thulas Vater. Sie ist sehr alt und liegt im Sterben, blickt am Ende ihres Lebens auf ihr Leben zurück.

 

Juba ist Thulas Bruder, der sein Dorf verlässt und mit seiner Familie woanders sehr komfortabel wohnt.

 

Jede der Perspektiven hat mich sehr eingefangen, vor allem jene von Sahel und Yaya. Und das, obwohl die beiden Frauen augenscheinlich kaum Gemeinsamkeiten mit mir und meinem Leben haben. Sie haben andere Prioritäten, Familie hat für sie einen anderen Stellenwert, sie sind der Kultur ihres Dorfes sehr verbunden. Teilweise kommen von Nebenfiguren Sätze, die ich viel mehr nachvollziehen kann. Besonders betroffen hat mich folgender Dialog gemacht, der in Sahels Kapitel vorkommt:

Die Perspektivfigur ist sehr familienbewusst und traditionell, sie spricht mit einer anderen Frau, die kurz vor ihrer Heirat steht. Diese sagt;:

“I wish I could just run and hide until this whole thing is over.”

“What whole thing?” 

“The thing where you all dance and take me to his hut, he climbs on me, I give him children, he dies, the children grow up and have their own lives, and I’m free again.”

(Ich hatte das Buch im englischen Original gelesen, die deutsche Übersetzung liegt mir nicht vor.)

 

Die Schicksalsschläge, die die Menschen im Dorf hinnehmen müssen, der Tod von so vielen ihrer Kinder, letztendlich dann auch Vergeltungsmaßnahmen der Soldaten der Regierung, das liest sich sehr mitreißend, teilweise herzzerreißend. Es ist sehr schwer, dabei nicht stark emotional beteiligt zu werden. Auch wenn die Menschen aus Kosawa fast immer zu gewaltfreien Mitteln greifen, um ihr Dorf und ihre Leben und Lieben zu verteidigen, gibt es immer wieder Einzelpersonen, die auch zu Gewalt greifen. Dies ist immer von tiefem Frust und großer Trauer begleitet, den Umständen sehr angemessen. Ich lerne: Ein gewaltfreies Leben leben zu dürfen, das ist ein Privileg. Das ist ein Privileg, das ich mir kaum jemals bewusst mache.

Es gibt nicht wenige in Kosawa, die mehr als ein Kind verloren haben, nicht wenige sogar alle. Wie würde ich mich fühlen, wenn mir das zustoßen würde und ich wüsste, wer dafür verantwortlich ist? Hätte Pexton dort nie Öl abgebaut oder hätte zumindest für ordentliche Leitungen gesorgt, dem Dorf wäre viel Leid erspart geblieben.

 

Es gibt immer mal wieder Lichtblicke, wenn Hilfe kommt, beispielsweise von dem Journalisten Austin oder aus den USA oder von einem Anwalt. Doch auch Schreckliches geschieht, bis hin zu Massakern und einer fürchterlichen Verhaftung und einem Prozess. Es ist sehr schwer auszuhalten, da an vielen Stellen klar wird, dass nicht alle, die in der Geschichte Macht haben und handeln, die Menschen in Kosawa wirklich als Menschen behandeln. 

 

Mbue macht einen beängstigend guten Job dabei, die Trauer und Verzweiflung zu zeigen. Auch, wie sehr es vielen außerhalb egal ist (nicht allen, ein wenig Hilfe gibt es), was mit ihnen und ihrem Dorf passiert. Der Profit von Pexton ist wichtiger. Und, wie Thula feststellen muss, als sie schließlich in den USA studiert: Auch dort gibt es Menschen zweiter Klasse. und auch dort: "In this country, governments and corporations are friends too.”

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