Es war im Jahre 1992, ich war vierzehn und schon eine Leseratte, hatte aber bis dahin kaum mehr gelesen als Enid Blyton, Astrid Lindgren und dann typische Bücher für Teenies.
Stephen Kings Christine war das erste "richtige" Buch für Erwachsene, das ich las, das erste, in dem wirklich ernsthaft gestorben wurde, betrogen, in dem es um etwas ging und nicht nur darum, den Schatz zu finden oder eine gute Note in einem Internat zu erhalten.
Ich erinnere mich noch sehr gut an das Lese-Erlebnis und ich hatte auch noch nie so mitgefiebert mit Figuren wie Dennis Guilder oder Arnie Cunningham. Vermutlich war ich beim Lesen sogar ein wenig in Dennis verliebt. Ein perfekter Held für mich, mutig, fehlbar, sehr lädiert, und dafür umso glaubwürdiger. Er kämpft bis zum Ende für seinen Freund - und scheitert.
Dieses Scheitern war für mich neu. Ich kannte nur Bücher mit Happy End. Christine hingegen hat das perfekte Horror-Ende. Die Andeutung eines Neu-Anfangs des Horrors, das subtile Versprechen, dass es noch nicht vorbei sein könnte ...
Kürzlich ist King bei Ihr wollt es dunkler zu dem Vater des gestorbenen Jungen aus Cujo zurückgekehrt und hat eine Erzählung mit ihm als Hauptfigur verfasst, so dass ich weiß, was aus ihm geworden ist.
So, bitte Stephen, schenk mir doch noch eine Geschichte darüber, was aus Dennis wurde, bevor du dich in den Ruhestand verabschiedest. Danke.
Danach kamen viele andere Bücher für mich, mehr von King, mehr von anderen, von Milan Kundera, Isabel Allende, Ian McEwan, Paul Auster, und sehr, sehr viel Science-Fiction.
Aber Christine, das wird immer irgendwie mein erstes Buch bleiben. Das erste Buch, dass von Seite 1 an zu mir durchgedrungen ist, das wirklich zu mir gesprochen hat. Seither habe ich es oft wiedergelesen, in verschiedenen Sprachen, nun habe ich mir nach langjähriger Pause von diesem Roman das Hörbuch von David Nathan gegönnt, perfekt vorgelesen, die alten Menschen klingen auch alt, die traurigen klingen traurig und die hoffnungsvollen klingen hoffnungsvoll.
Möge ich noch viele Rereads dieses Romans vor mir haben, bis auch ich in den Ruhestand eintauche und Arnie Cunningham Gesellschaft leisten muss!
Über den Roman
Dennis und Arnie sind schon seit ihrer Grundschulzeit Freunde, beste Freunde. Dennis ist sogar Arnies einziger Freund, denn Arnie ist ein Außenseiter. Jemand, den wir heutzutage vermutlich als Nerd bezeichnen würden, außerdem seit seiner Teenie-Zeit mit entsetzlich vielen Pickeln beehrt.
Dennis hingegen, breitschultrig, in der Football Mannschaft, vermutlich recht gut aussehend, bildet eine klare Gegenposition zu Arnie, umso besonderer ihre Freundschaft. Denn auch wenn Dennis es nie extra erwähnt: Andere richtig gute Freunde erwähnt er nie, höchstens flüchtige Bekannte, die mal in einem Pausenhofgespräch vorkommen, niemand, mit dem er ernsthaft seine Freizeit verbringt. Offenbar ist auch Arnie Dennis' einziger Freund, nicht nur umgekehrt.
Arnie verliebt sich in einen nicht fahrtüchtigen Oldtimer, einen 58er Fury Plymouth, "Christine", die er von einem alten Mann, dem hoch unsympathischen Roland D. Lebay kauft. Umgehend gibt es Ärger mit Arnies Eltern, die nicht wollen, dass er ein eigenes Auto hat oder eines restauriert. Der Ärger stapelt sich für Arnie, doch es gelingt ihm, aus dem alten Wagen eine Art Schmuckstück zu machen. Allerdings hat er sich bis dahin ein paar Feinde gemacht und die demolieren das Auto, "Christine". Doch nach und nach kommen die Feinde unter mysteriösen Umständen ums Leben, stets war ein rot lackierter Wagen im Spiel. Doch "Christine" hat keinen Kratzer. Was steckt dahinter?
Als Vierzehnjährige war ich begeistert von Dennis' Perspektive, altersmäßig nah genug, aber dennoch älter, mit einem Bein im Erwachsenen-Leben. Vieles war anders, er war 17 im Jahre 1983 in den USA, durfte nicht offiziell trinken, aber Auto fahren, ich war noch vier Jahre vom Führerschein entfernt, kam aber als Vierzehnjährige im Emsland der Neunziger Jahre problemlos an Alkohol heran (der mich aber nicht groß interessierte). Verliebtheit konnte ich nachvollziehen, ebenso (umso mehr) wichtige Freundschaften, und auch das Rebellieren gegen die Eltern und ihre Regeln war mir in dem Alter nicht mehr ganz fremd. Das perfekte Buch für mich zu jener Zeit.
Und wie ist es jetzt, mit 46 Jahren, selbst als Mutter zweier (noch nicht pubertierender) Kinder? Würde man den Plot simpel zusammenfassen, das Buch gäbe nicht viel her. Ich habe vor langer Zeit mal den Film gesehen, heruntergekocht auf neunzig Minuten ohne all die Details ist es nicht sonderlich interessant.
Junge kauft Auto - das tötet Menschen
Ja, und?
Aber so, wie King den Roman aufbaut, ist es ein Lehrstück an unglaublich unterhaltsamer, extrem spannender Horror-Literatur, die unsere Ängste schürt, und zwar nicht nur, was das Beschreiben verfaulender, madiger Körper betrifft, inklusive des süßlichen Verwesungsgestank (und ja, auch das kann King gut), sondern andere Ängste, die uns vertrauter sind:
Verlust von Freundschaft, Verlust der eigenen Persönlichkeit, die Bedrohung nicht nur des eigenen Lebens, sondern auch derer, die wir lieben. Plus, deutlich subtiler: Der Verlust der geltenden, bekannten Regeln, da etwas vor sich geht, das eigentlich nicht vor sich gehen dürfte. Dennis (und auch einige andere Figuren in dem Buch) müssen nach und nach feststellen, dass sie diese Welt wohl doch nicht in allen Facetten kannten und eben das ist unheimlich, das lässt uns am Ball bleiben. Was ist da los mit "Christine" und wie hängt der (früh im Roman verstorbene) ehemalige Besitzer Roland D Lebay damit zusammen?
Lebay ist einer der bösesten Figuren ever, ganz klar, da gibt es auch kaum Grautöne, wenn nicht sogar keine. Das kann King sich erlauben, da alle anderen Figuren viele Grautöne haben und somit interessant werden. Klar, Lebay ist "nur böse", er symbolisiert das nackte Grauen. Der braucht auch keine anderen Facetten.
Doch was ist mit Arnies Mutter Regina, einer hassenswerten Persönlichkeit, wie sie ihren Sohn und ihren Mann behandelt, aber an vielen Stellen ist sie doch nachvollziehbar und sie meint es ja auch nicht böse?
Oder, persönlich finde ich ihn viel interessanter, Will Darnell, ein krimineller, eindeutig auf den eigenen Vorteil bedacht, aber eben auch verdammt clever und auch durchaus kreativ und flexibel in der Wahrnehmung der Welt? Will gehört eher auf die Böse-Seite, hat aber so viele Graustufen, dass ich die meiste Zeit eher für ihn als gegen ihn war. (Plus, so würde King im Jahr 2024 vermutlich nicht mehr über dicke Menschen schreiben.)
Buddy Repperton ist ein anderer Schlag von "böse", nicht wie Roland D. Lebay mörderisch, aber der übliche halbkriminelle Bully, der schon ziemlich weit geht, um seine Opfer zu piesacken. Buddy ist ein ziemliches Klischee, was etwas aufgefangen wird durch einige Einblicke, die wir später noch zu ihm bekommen. Ein mit Leben gefülltes Klischee, könnte man sagen, und eines, das gut in die Handlung passt.
So könnte man fast "Christine" noch Grautöne unterstellen, da sie ja (zumindest zunächst) nur die bösen Jungs tötet.
However, auch von 2024 aus ist ein großartiger Roman, einer, den ich nicht aus der Hand legen kann. Das hat meinen Lesegeschmack massiv geprägt und auch heute noch lese ich lieber Bücher, die mich derart fesseln und habe keine Geduld mit Prosa, die sich keine Mühe gibt. Bei King haben oft sogar Nebenfiguren, die keinerlei Dialogszene haben, in den Sekunden ihres Auftritts mehr originelles Leben um sich als Hauptcharaktere in anderer Prosa.
Wenn auch mit Abstrichen, King-Fan forever, das bin ich wohl.
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