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Manhunt von Gretchen Felker-Martin

"Wann ist ein Mann ein Mann?" sang Grönemeyer schon 1984 und als Sechsjährige habe ich das natürlich damals nicht hinterfragt.

 

Die Prämisse dieses Buch kann ich als "Auch trans Frauen sind Frauen" zusammenfassen, eine Selbstverständlichkeit, möchte ich meinen, aber natürlich ist es das nicht. J K Rowling mag nur die einflussreichste TERF (trans-ausschließende Radikalfeministin) sein, aber natürlich gibt es eine Menge TERFs in unserem Alltag.

 

Der springende Punkt ist, dass eine TERF sagt, dass eine trans Frau keine Frau sei, weil sie eben nicht mit dem Körper eines Mädchen geboren wurde, weil sie einen Penis hat (oder hatte), weil sie die falschen Chromosomen hat oder aus tausend anderen Gründen, die in dieser meiner Erlebniswelt alle nicht wirklich viel Sinn in meinem Kopf ergeben. Wenn mir jemand sagt "Ich bin eine Frau", dann glaube ich der Person das, auch wenn ich sie ggf. nicht unbedingt als Frau gelesen habe.

 

In der Realität dieses Romans gibt es durchaus ein paar ernstzunehmende Gründe, warum TERFs Angst vor trans Frauen haben könnten, insbesondere vor jenen, die durchaus noch ihre Hoden haben und somit Testosteron produzieren.  Denn die Seuche "t. rex" betrifft ausschließlich Personen, die eine bestimmte Menge Testosteron im Blut haben. Die bekommen einen hässlichen Ausschlag und laufen fortan nur noch durch die Gegend und versuchen, alles zu vergewaltigen (und zu besamen), was ihnen über den Weg läuft. Das ist durchaus eine sehr eklige Variante der Zombie-Apokalypse und mit diesen Männern ist dann auch kein Verhandeln mehr möglich, auch kein Gespräch. Die kann man nur noch erschießen und danach ihre Hoden verspeisen. Denn aus den Hoden und Adrenalindrüsen lässt sich Östrogen gewinnen, ein Hormon, das gerade trans Männer unbedingt regelmäßig einnehmen müssen, wenn sie nicht ebenfalls von der Seuche befallen wollen werden. Insofern ist die Angst der TERFs vor den trans Männern auch in dieser Welt wieder recht sinnfrei, denn die trans Frauen haben ein großes Interesse daran, nicht von der Seuche zu befallen. Möge ihnen nie das Östrogen ausgehen!

Natürlich gibt es noch andere Möglichkeiten, doch diese sind recht invasiv. Angesichts der Alternative ziehen das aber durchaus einige (und auch einige Mütter für ihre Söhne) in Betracht.

 

Der Roman ist an vielen Stellen nichts für zartbesaitete und ich gebe zu, ich habe es vermieden, ihn beim Essen zu lesen, da ich nichts über aus dem Sack entfernte Hoden lesen wollte, die von einer der Protagonistinnen verzehrt wird, auch nichts von Ausschlägen, Tumoren oder auch eher menschlich ekelhaften Dingen, die hier passieren. Das ist schon Horror, aber es geht auch als Science-Fiction für mich durch, da die Seuche wissenschaftlich erklärt wird und auch später im Buch durch eine Medizinerin noch verdammt viel Forschung zum Thema Fortpflanzung und Befruchtung durchgeführt wird. Denn viele Fragen bleiben offen: Die meisten befruchteten Frauen bekommen Jungen und die fressen sich dann aus ihren Körpern heraus und, bereits von t. rex befallen, sind innerhalb von einem Jahr geschlechtsreif. Wird ein Mädchen geboren, ist alles gut, nur leider geschieht das selten, sofern der "Vater" ein von t. rex befallener Spender ist.

 

Die Hauptfiguren, das sind Beth, Fran, Robbie (ein trans Mann) und Indi (die, soweit ich das verstanden habe, eine cis Frau ist). Es wird auch noch die Sicht einer Cis-Frau geschildert, die eigentlich auf der Seite der TERFs steht, aber heimlich ein Verhältnis mit einer trans Frau hat, die sie sehr begehrt. 

Der Plot

Es wäre nun langweilig, wenn wir Beth und Fran nur dabei beobachten würden, wie sie von t. rex befallene Männer abschießen und ihnen Hoden und Drüsen entfernen, die Ärztin Indi daraus Östrogen extrahiert, sie sich gelegentlich mal gegen TERFs wehren und irgendwann den trans Mann Robbie kennenlernen, der aus gutem Grund solo unterwegs ist.

All diese Dinge passieren und werden ausreichend plastisch beschrieben, aber da ist mehr, viel mehr.

 

Selten wurden Figuren für mich so plastisch gemacht. Ich erfahre nach und nach viel über die vier Hauptfiguren und sie werden durch ihre Vergangenheit und durch ihre Beziehung miteinander (teilweise kannten sie sich durchaus schon vor der Apokalypse) sehr lebendig. Das ist eines dieser Bücher, in denen echte Menschen mitspielen. Die übrigens sehr echten Sex miteinander haben. Auch durch die Sexszenen erfahre ich einiges über die Menschen, nicht nur über ihre Körper (auch wenn es nicht uninteressant ist, dass in einigen Szenen die Frau den Penis hat und der Mann die Vulva) und auch über ihr Innenleben, über ihre Sehnsüchte, Wünsche, über ihre Hoffnungen und ihre Ängste. Da ist viel drin und ich war beeindruckt (und fühlte mich mehr als einmal wie eine Jungfrau, die es eigentlich noch nie wirklich getan hat) von der Wildheit, der Dringlichkeit in vielen dieser Szenen. Plus, die Leute haben auch echte Körper, mit echten Falten und vielen Stellen, die nicht gephotoshoppt sind. So ehrlich und aufrichtig wurden mir Körper in Sexszenen nicht beschrieben. Ich kenne eher Szenen, in denen die Leute eher an die perfekten Vampirgestalten von Twilight erinnern, in denen nirgends ein Haar oder eine Speckfalte zu viel ist und alle sich jederzeit in egal welcher Position photogen in Pose setzen könnten. Das ist hier nicht so. Hier gibt es auch echte Geräusche und einiges zum Riechen und zum Anturnen sind die Szenen auch nicht geschrieben, sie sind geschrieben, weil sie uns etwas über die Figuren verraten und auch, weil viele davon den Plot vorantreiben oder auch Konflikte vorbereiten (oder ausmalen). 

 

Die Dialoge fühlen sich genauso echt an und ich war an vielen Stellen überrascht über die Deutlichkeit.

 

Die vordergründige Story zeigt viel von dem, was Geschichten in postapokalyptischen Welten oft haben: Wohin gehe ich, wenn die Zivilisation sich verändert hat oder gar weg ist? Wo bin ich sicher? Wie gestalte ich mein Leben? 

 

Es gibt kleine Momente, die gelungen sind, aber rein inhaltlich aus ähnlichen Szenarien bekannt. Fran, Beth, Indi und Robbie gelingt es, bei der Tochter eines Preppers unterzukommen und dort ist die Versorgung mit Nahrung sehr gut. (Es gibt andere Dinge, die dort vorgehen, die weniger erfreulich sind.) 

Dann wird aber die Dringlichkeit durch die Perspektiven der trans Figuren sehr deutlich: Fran und Beth dürfen nicht aufhören, Östrogen zu nehmen, sonst sind sie innerhalb weniger Wochen ebenfalls von t. rex befallen. Robbies Schicksal, das nach und nach enthüllt wird, zeigt deutlich, was das für eine trans Frau bedeutet. Robbie hingegen kann kein Testosteron einnehmen, muss als trans Mann weiterhin mit seiner Menstruation leben, da die Alternative auch für ihn wäre, sich mit dem Virus zu infizieren. 

 

Das Thema Identität und im eigenen Körper zu Hause fühlen ist ein wichtiges Thema im Buch, auch Liebe, Akzeptanz, Respekt, Freundschaft, Sicherheit. Trans Frauen sind in unserer Welt nicht sicher, in dieser Welt sind die es erst Recht nicht. Männer mögen eine Bedrohung sein (in jener Welt sind die das definitiv, dafür kann man sie auch einfach erschießen, weil anzunehmen ist, dass sie eh nicht mehr fühlen und denken können). Die wahre Bedrohung sind die TERFs. Die sind Menschen, aber sie richten eben trans Frauen auch hin. 

 

Und es gibt eben sehr viele Ankerpunkte in unserer Welt, jene Welt, in der die Figuren des Romans aufgewachsen sind. 

 

Beth:

"Dad hatte diese Pfannkuchen für den Sohn gemacht, den er liebte, nicht für die Tochter, die er mit Wut und Ekel über den Küchentisch im Haus in Laconia hinweg anstarrte, als sie ihm am Ende einer langen, unbeholfenen rede ihren Namen gesagt hatte."

 

TERF:

"Das ist nur ein verkleideter Mann. Wenn wir es entkommen lassen, wird es früher oder später aus der Haut fahren. Buchstäblich."

 

"Das hier ist ein sicherer Ort für Menschen aller Geschlechter, Ethnien, Religionen und Sexualitäten!"

 

Kenne ich einen solchen Ort in meiner Welt? Ich fürchte, nicht.

 

Der Schluss des Romans ist traurig, aber auch schön. Voller Liebe. Tatsächlich ist das einer dieser seltenen Romane, der mich wirklich berührt hat. Und ja, es ist trotzdem sehr ekliger, splattiger Horror enthalten. 

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