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Queer*Welten 12

Die neue Queer*Welten sind da! Hier erhältlich

 

Es gibt vier Kurzgeschichten/Erzählungen:

 

Der späte Wurm von Rebecca Westkott (Science-Fiction)

 

Ma jada von Hollarius (High Fantasy)

 

Der Phoenix von Nox Juvenells (Lyrik)

 

Spargelernte von Kae Schwarz (Urban Fantasy) 

Eis auf Raten von Yvonne Tunnat (Science Fiction)

 

Dann gibt's noch einen Essay von Jamie-Lee Campbell mit dem vielversprechenden Titel: Warum rennt JAMES BOND nackt in einer Welt voller Betonpenisse herum? – In sieben Schritten zur Testosteron-Ekstase.

 

Plus einen Essay von Dr. Lars Schmeink: Die Repräsentation von ‚(Dis)ability‘ in der Progressiven Phantastik

 

Außerdem mit Queeren Questen von:

Alex, An Brenach, Ariadne Geiling, Maike Frie, Nicole Hobusch, Emma Hogner, Phillip-C. Kasten, Kián KoWananga, Marie Meier, Stefan Mesch, Mila Münchow, T. B. Persson, Liane Raposa, Britta Redweik, Rebecca Reiter, Christina Seeberger, C. F. Srebalus, Iris Leander Villiam

Zum Inhalt

Ich kann nur fragen: Wo kriegen die immer nur diesen genialen Kram her? Teilweise sind da Sachen dabei, die kenne ich in dieser Form nicht aus unserer deutschsprachigen Szene!

 

Klar, Spargelernte mag relativ zahm sein (später mehr dazu), aber Der späte Wurm und Ma jada, das ist schon wirklich der neue progressive Hot Shit, den ich sonst in unserer Szene vergeblich suche. 

 

Die Queeren Questen rezensiere ich jetzt nicht, in dieser Kürze zählt oft jedes Wort, auch Lyrik zu besprechen überlasse ich jetzt lieber anderen. Ich mag Eis auf Raten, kann aber schwerlich meinen eigenen Beitrag besprechen, das können auch gern andere machen. :-)

 

Bei Jamies Betonpenissen-Essay musste ich sehr viel lachen, bin aber auch mit einer gescheiten Rezension überfordert, das ist einfach zu abgefahren! Hier fehlt nach und nach immer mehr von dem in der Prosa, was gern Frauen zugeschrieben wird und wir lesen dann, was übrig bleibt. Das ist herrlich unterhaltsam, weit weg von einem konventionellen Essay und zum Schreien komisch. Was für ein Spaß! Da ich aber längst nicht alle Details durchdrungen habe (ich habe ein konventionelles Herz), analysiere ich das jetzt mal nicht. Lese-Empfehlung!

 

Lieber dann mehr zu den drei Geschichten, die ich sorgfältig und auch alle zweimal gelesen habe:

Der späte Wurm von Rebecca Westkott (Science-Fiction)

Beim zweiten Lesen lese ich noch stärker die Kritik am Kapitalismus heraus, sehr deutlich, und das erinnert mich wieder daran, dass für mich die Queer*Welten seit einiger Zeit (seit Jahren?) DER Leuchtturm in unserer deutschsprachigen Szene sind, wenn ich daran denke, wie weit die SF-Szene in den USA und co. schon ist. Gestern erst hörte ich eine Folge aus einem (Hugo-prämierten) Podcast, in dem es um Monster ging und was die Gesellschaft als Monster definiert. Beispielsweise was sie nicht kennt, was sie nicht versteht, was nichts nutzt, was nicht produktiv ist. Stark beeinflusst eben vom Kapitalismus. Sie hatten den chronisch kranken, sehr erfolgreichen (und extrem coolen) John Wiswell zu Gast und die Folge dauert neunzig Minuten und es wird viel gelacht, sehr empfehlenswert! (Die Prosa von John Wiswell und sein cooler neuer Fantasy-Roman sind übrigens auch empfehlenswert.) 

 

Zurück zur Story: So etwas lese ich eben in der deutschsprachigen Szene zu selten und ich möchte das bitte mehr lesen! Auch woanders! Ich kann mir denken, warum es bisher nur den QW gelingt, solche Texte zu bekommen und sie haben es auch mehr als verdient, aber bitte, liebe Autor:innen, die jetzt ihre besten Texte zu den QW schicken, schreibt mehr, ballert doch auch die anderen Magazine voll. Chris vom Weltenportal hofft eh darauf, das FFM sehnt sich nach positiv-utopischen SF-Texten (dieser hier wäre vermutlich nicht Near Future genug gewesen) und die Exodus kann das sicher auch mal brauchen. :-) 

 

However, der Text ist recht komplex und vollgepackt und endlich werden auch mal Depressionen, Antriebslosigkeit und Trauma sehr gut beleuchtet. Richtig gelungen ist der Blick von einer erdachten Zukunft auf das (ungefähr) Jetzt. Wie stehen wir denn heute Depressionen und co. gegenüber? Oder traumatischen Reaktionen?

 

Die Story macht es ziemlich deutlich. Der Mainstream Ton geht in die Richtung "Stell dich nicht so an und komm endlich drüber weg!". So funktioniert die Welt in der Story aber nicht mehr, wie ich nach der einführenden (sehr gelungenen!) Zahnarzt-Szene feststelle. Menschen betrachten unser Jetzt von außen und wundern sich darüber, was üblich und was normal war. Im Geschichtsunterricht erfahren sie von der Ich-Person, welches Verhalten akzeptabel war (bzw. für uns: ist) und welches nicht.

 

Plus, endlich mal ein gelungener Einsatz von Phrasen! Zeige mir die Phrasen deiner Gesellschaft und ich sage dir, was sie ist. Siehe auch der Titel der Story. Der frühe Vogel fängt den Wurm.  

 

Die Erzählung ist so pickepackevoll mit Weltenbau, guten Überlegungen zu sinnvollen und nicht so sinnvollen Behandlungsmethoden (etwas, das bei einer Spinnenphobie funktioniert, klappt eben nicht bei anderen Ängsten, die begründeter sind). Dann gibt es auch außerirdische Lebensformen und am Ende erfahre ich genauer, wo ich mich überhaupt befinde. Und warum. Und wie es dazu kam. Und ja, es gibt Pupswitze. Die gehen immer, finde ich. 

 

Ein wirklich gute Story, bei der sich mehrmaliges Lesen lohnt. Ich bin womöglich auch nicht beim letzten Lesen angekommen und wende mich dem noch einmal zu.  

 

Die Queer*Welten halten ihr Niveau und bauen es aus und allmählich sind die Texte dem Gros der Szene auch fünf, zehn, oder gar fünfzehn Jahre voraus. Das kann SF nämlich. 

 

Und jetzt die Preisfrage: Wieso können die Autor:innen das, die bei den QW einreichen? Was lesen die, dass sie so schreiben? Die Clarkesworld und die Uncanny? Non-SF? Oder woher kommt diese Aufgeschlossenheit, die Phantasie, das Abrücken vom Mainstream?

 

Das würde ich wirklich gern mal wissen!

Ma jada von Hollarius (High Fantasy)

Obwohl die Story kurz ist, hat sie beachtlich viel Weltenbau. Ich denke da vor allem an die Sprachen, die angerissen werden und die auch einiges über die Kultur dahinter sagen.

 

Für eine gescheite Rezension muss ich spoilern, allerdings bleibt die Story trotzdem noch lesenswert, da die Struktur recht komplex ist (nicht chronologisch).

 

Eigentlich umreißt die Geschichte nur einen Tag. An dem extrem viel passiert! Der geliebte Cousin der Hauptfigur wird getötet (wegen einer Nichtigkeit von "den Reinen") und er war erst dreizehn und das Verhältnis zu ihm war eher väterlich als alles andere. Der Ich-Erzähler trauert hier fast wie um einen Sohn. Das war schon extrem gut dargestellt. (Vor allem dann, wenn ich mir überlege, wie sonst in unserer Szene Trauer geschildert wird, oder vielmehr: Einfach nicht geschildert wird und ich spreche hier nicht von gekonnten Leerstellen.) 

 

Dann trifft der Ich-Erzähler seine erste Liebe, die auch körperlich wird, Gefrion, die eine Frau ist, und zwar eine Frau mit einem anderen kulturellen Hintergrund und einer anderen Muttersprache, die aber dennoch ein paar (wichtige!) Worte in seiner Sprache kennt (siehe auch Titel). Er tötet jemanden, es gibt Sex. 

 

Da passiert schon massiv viel in so einer kurzen Story und an immerhin nur einem Tag (der rückblickend erzählt wird und der Schluss lässt vermuten, dass die Beziehung zu Gefrion nicht bis zum erzählten Zeitpunkt überdauert hat, eine unglaublich geniale literarische Art, eine Leerstelle zu setzen, ihr seht mich begeistert! Was für ein Niveau!). 

 

Es folgen Spoiler:

 

Zuerst wird Goidi (dreizehnjähriger Cousin) getötet. Dann trifft er (ca. einen halben Tag später) Gefrion. Und tötet jemanden. Ich glaube, den Sex mit Gefrion gibt es erst danach (der wird aber davor erzählt), da bin ich mir aber auch nicht komplett sicher, würde aber am meisten Sinn ergeben. 

 

Meine Begeisterung bei dieser Geschichte (denn einfach nur: Jemand verliert einen geliebten Menschen, lernt Frau kennen, tötet den Feind und hat danach Sex und erinnert sich deutlich später nostalgisch an ihre Küsse) wäre jetzt irgendwie nichts, was mich so richtig aus der Abstellkammer locken würde) liegt in den Details.

 

 

Hier die Beschreibung von Goidi:

 

 

Er war so ein kleiner Spinner. So herrlich voll mit sich selbst, wie Jungen es halt mit dreizehn sind, hatte er sie [eine Schnur aus gesponnenem Silberstrahl, die später noch sehr wichtig wird] wirklich zu einer Waffe gemacht.

 

Wer hat da bitte nicht sofort ein Bild im Kopf? 

 

Und der Ich-Erzähler nennt Gefrion "ma Jada" (mein Schatz, siehe Titel), und sie nennt ihn "mo jado", offenbar die männliche Version dessen, was cool ist, weil er "ephemo" ist. Es gibt in seiner Sprache ein Wort für das, was er ist (ein trans Mann) und sie kennt dieses Wort und benutzt es auf eine Art und Weise, die ihn erleichtert und ihm ausreichend viel Vertrauen und Selbstvertrauen einflößt, dass er später mit ihr schläft. Das ist schon bedeutsam. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie seine Sprache (die sie ja nur in kleinen Stücken beherrscht) so gut einsetzen kann. Fand ich klasse.

 

Und das ist alles so subtil, dass ich es nur feiern kann! 

 

Der Tod von Goidi wird auch so krass dargestellt, aber gleichzeitig authentisch ohne Ende, ich fühle richtig mit. 

 

 

... wie das Ding Goidi oberhalb der Hüfte traf. Der kleine Körper knallte hin und lag so auf dem Boden, wie man nicht liegen kann. 

 

[...]

 

Der nächste Schlag, sein Kopf war rot und auch falsch und ich rannte.

 

Schön auch seine Sicht auf Cis-Männer:

 

 

Jeder Witz widerlich und dumm. Hätte ich mich entscheiden können, ich hätte kein Mann sein wollen, nicht wie sie. Aber es ist nun mal keine Entscheidung, ephemo zu sein.

 

 

Die Tötungsszene war auch großartig geschildert.

Spargelernte von Kae Schwarz (Urban Fantasy)

 

Das ist ein Kurzkrimi (Urban Fantasy, spielt in der uns bekannten Welt, nur einige können zaubern) und die sind schwer! Ich habe schon viele gelesen und meistens ist es nicht einfach, einen Krimi-Plot und interessante Figuren in wenige Seiten zu packen. Die Story ist auch etwas länger als die anderen (glaube ich) und hat ein paar mehr Figuren. Nicht alle Figuren werden dadurch so wahnsinnig tief, es gibt aber ein paar angenehme Ausnahmen. 

 

Sebastian Mertens ist die Hauptfigur, er ist der amtierende Bezirksmagier und wird hinzugezogen, wenn ein Mordfall eine magische Komponente hat (oder hierfür in Verdacht steht).

 

Julia Mauss, die Kriminalkommissarin, hat ihre eigene Agenda (auch wenn diese nicht so fürchterlich sympathisch ist, aber nachvollziehbar, ist eben keine utopische Welt) 

 

Der Kollege Wolther: Da hatte ich überlegt, ob der eigentlich eine eigene Rolle hat oder ob der auch in Mauss hätte zusammenschmelzen können. Aber vermutlich musste eine realistische Truppe zusammengestellt werden, die mit unterschiedlichen Aufgaben an dem Fall arbeitet. 

 

Grigoriev, der Dolmetscher: Natürlich ein Antagonist und das wird auch sofort klar. Ich habe etwas ähnliches schon sehr, sehr oft gelesen in letzter Zeit (blöder Zufall), ich glaube auch in der Mainstream Literatur. Es ist fast schon der Klassiker und kommt mir unvermeidlich vor. Jemand geht irgendwohin, um zu arbeiten und dann stellt sich heraus: Kost und Logis kosten auch Geld und werden vom Gehalt abgezogen, irgendwie bleibt nichts übrig. Das habe ich glaube ich sogar bei Ken Follett und David Mitchell in letzter Zeit schon gelesen.

 

Hier sind es Frauen aus Bulgarien, die ziemlich böse ausgebeutet werden für die Spargelernte. 

 

Es kommt dann auch zweimal der Begriff "Leibeigenschaft" vor. Auch wenn ich dem hier inhaltlich zustimme, für das Zielpublikum der Queer*Welten ist die Botschaft etwas zu deutlich. Ich habe mir dann später überlegt, dass das Zielpublikum für den Episodenroman vermutlich etwas breiter ist und es subtiler nicht verstünde, zweifle aber noch daran. 

 

Markova hätte ein bisschen mehr Farbe vertragen, finde ich. 

Dafür war die Muhme Malgorzata (charakterisiert durch das was sie sagt und tut) sehr gut getroffen.

 

Beckers, die Leiche, über den erfährt man nicht viel, aber er steht ja auch nur für etwas, ich denke für "weiße Männlichkeit" (im schlechtesten Sinne)

 

Weltenbau: es gibt verschiedene magische Traditionen. Wir erfahren einiges über Hintergründe. Da die Autorenperson an einem Episodenroman mit Sebastian Mertens arbeitet, vermute ich, da steckt auch noch einiges an Wissen und Input dahinter, und das spüre ich beim Lesen auch. 

 

 

Mertens löst den Krimi, rettet ein ganz kleines Stückchen Welt und das ist alles am Ende recht befriedigend. Die Prämisse ist mir (wie gesagt) etwas zu deutlich. Das ist persönlicher Lesegeschmack, darüber jammere ich oft. 

 

Rein thematisch gehe ich mit: Das ist ein wichtiges Thema. Ich würde mir nur mehr Literatur wünschen, die subtiler die toxische Männlichkeit untersucht. Denn ein Mann, der eine Frau bis zum Hitzschlag weiterschuften lässt, der ist kein sehr subtiles Beispiel. Wobei mir leider klar ist, reale Vorbilder gibt es viele.

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