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Peter Cawdron: Erstkontakt – Der Sturm (Gastrezension von Chris Witt)

Peter Cawdron: Erstkontakt – Der Sturm

Orig.: First Contact – The Tempest, 2022

A7L Books, 04/2023, Paperback, ISBN 978-3-9859580-5-4

 

„Der Sturm“ ist der zweite Band von Peter Cawdrons „Erstkontakt“-Serie mit in sich abgeschlossenen und voneinander unabhängigen Romanen, die alle um das Thema eines Erstkontaktes mit außerirdischen Lebensformen kreisen. 

 

Das Raumschiff „Sycorax“ ist mit 18.000 Kolonisten in Kryostase an Bord unterwegs zu dem Planeten New Haven. Die Funktionen des Schiffes laufen weitgehend computergesteuert ab, so dass es nur zehn Besatzungsmitglieder gibt, die in monatelangen Zweierschichten ihren Dienst versehen. Während der Schicht von Emma und Marc wird das Schiff aus zunächst ungeklärter Ursache schwer beschädigt. Zahlreiche Kolonisten und fast alle übrigen Besatzungsmitglieder werden getötet. Es stellt sich heraus, dass das Schiff den Jet eines Schwarzen Lochs durchflogen hat, das bisher in den Sternenkarten nicht verzeichnet war. Um dieses Schwarze Loch kreist ein Eisplanet mit mehreren Monden, von denen einer die erforderlichen Rohstoffe zur Treibstoffgewinnung zu besitzen scheint. Als Emma und Marc mit der Sycorax Kurs auf den Mond setzen, empfangen sie zu ihrer Überraschung Funksignale von dort und werden angewiesen weiterzufliegen, weil der Mond – Altair IV – unter Quarantäne stehe.

 

Emma und Marc haben keine Wahl. Um die Kolonisten und sich selbst zu retten, brauchen sie die Rohstoffe des Mondes. Mit einem Scoutschiff landen sie und entdecken zu ihrer Überraschung die Überreste einer verlassenen Siedlung. An der Landestelle erwartet sie ein junges Mädchen. Miranda lebt allein mit ihrem Vater, Professor Spiro, in einer nahen Basis. Als sich wie aus dem Nichts ein schwerer Sturm manifestiert, müssen Emma und Marc dort Zuflucht suchen. Nur durch das Eingreifen einer rätselhaften Wesenheit namens Ariel bleiben sie auf dem Weg dorthin unverletzt. Ariel ist ein Energiewesen, das jede Form annehmen kann und laut dem Professor von einer seit langem ausgestorbenen extraterrestrischen Spezies erschaffen wurde, den Krell. Auch der Sturm wurde durch ein solches Energiewesen erzeugt, aber während Ariel der dienstbare Geist des Professors und seiner Tochter zu sein scheint, ist Caliban, das andere Energiewesen, den Menschen offenbar feindlich gesinnt und für den Absturz des Raumschiffs der Siedler verantwortlich. Spiro ist besessen davon, die Geheimnisse der Krell zu ergründen, die den gesamten Mond in eine gigantische Maschine verwandelt haben – eine Maschine, die laut Spiro Träume zum Leben erwecken kann. Als Emma und Marc eine Möglichkeit suchen, den Mond zu verlassen und ihr Schiff im Orbit zu reparieren, finden sie Ungereimtheiten in der Geschichte des Professors und entdecken schließlich die schockierende Wahrheit über ihn und seine Tochter.

 

Überzeugend und anschaulich schildert Cawdron im ersten Teil des Romans die technischen und physikalischen Hintergründe seiner Geschichte, erläutert Warp-Blase und relativistischen Jet, ohne dabei ins Dozieren zu verfallen. Schon mit der ersten Szene wirft er die lesende Person mitten ins Geschehen, stellt dabei seine Protagonisten weitgehend durch ihre Taten und Reaktionen auf die lebensbedrohliche Situation vor, in der sie sich nach einem langweiligen und eintönigen Dienst urplötzlich wiederfinden. Die Flugingenieurin Emma und Marc, der eigentlich „nur“ Spezialist für Abwasserbehandlung und Bioregeneration ist, haben kaum Zeit, ihre Entscheidungen zu überdenken. Jedes Zögern kann fatal sein. Um die Krise zu überstehen, müssen sich der bedächtige Marc und die selbstbewusste Emma, die die Führungsposition übernimmt, zusammenraufen.

 

Im zweiten Teil des Buches verlagern sich der Schauplatz und der Fokus der Ereignisse auf die Oberfläche des Mondes. Spiro und seine Tochter leben buchstäblich in einer schützenden Blase, abgeschirmt gegen jedes äußere Geschehen, vom Rest der Galaxis isoliert. Spiro scheint damit zufrieden, geht ganz in seiner Forschung auf. Miranda, zunächst fügsame Tochter und weitgehend sich selbst überlassen, lernt erst durch die Ankunft der beiden Fremden ihre Rolle zu hinterfragen und sich von ihrem Vater zu emanzipieren. 

 

Was folgt ist eine faszinierende, moderne Variante von Shakespeares berühmten Drama „Der Sturm“ (wobei die Kenntnis des Stücks allerdings keine Voraussetzung zum Verständnis des Romans ist). Statt auf einer Insel stranden die Protagonisten hier auf einem verlassenen Mond fernab von allen besiedelten Welten. In Professor Spiro ist unschwer Prospero, der gestürzte Herzog und Zauberer, zu erkennen. Spiros verbotene Zauberei ist die Wissenschaft der Krell. Die beiden Energiewesen verkörpern den dienstbaren Luftgeist Ariel und den Sklaven Caliban, der sich gegen Prospero verschwört. Spiros Tochter trägt wie im Stück den Namen Miranda. Und auch Calibans Mutter, die Hexe Sycorax, findet im Roman Erwähnung – als Namensgeberin des Raumschiffs, mit dem Emma und Marc unterwegs sind.

 

Einzig Emma und Marc haben keine echte Entsprechung im Stück. Anders als im Drama sind sie völlig Fremde, die nichts mit Spiro verbindet und gegen seinen Willen auf dem Mond landen. Aber gleich mit ihrer Ankunft werden sie ein Teil des Geflechts aus Lügen und Leidenschaften, Schuld und Sühne, das Spiro, Miranda, Ariel und Caliban miteinander verbindet, von denen keiner ist, was er zu sein scheint. Spiro, der manische Wissenschaftler, hat Schuld auf sich geladen und seiner Forschung alles geopfert, Miranda bewahrt Geheimnisse, die sie selbst nicht wahrhaben will, Ariel hat ganz eigennützige Gründe, dem Professor zu helfen, und Caliban ist vielleicht gar nicht der Bösewicht, dessen Rolle er spielt. Wie in Shakespeares Drama entspinnt sich ein Reigen aus Intrigen und Verwirrspielen, den Emma und Marc auflösen müssen, wenn sie entkommen wollen. Heimlicher Star dabei ist fremdartige Maschine der Krell, von der man bis zum Schluss nicht erfährt, wie sie funktioniert. Spiro beschreibt die Krell als Wesen, die auf uns wie Götter wirken würden. Seine Versuche, ihre Technik zu entschlüsseln, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er spielt wie ein Kind mit Dingen, die er nicht versteht, will nicht sehen, dass ihn die besessene Beschäftigung mit dieser Technik, dieser „Zauberei“, alles gekostet hat, was er besitzt.

 

Emmas und Marcs Ankunft wird zum Katalysator des Geschehens. Ihr Raumschiff dient nicht nur als Vehikel, um zu dem Mond vorzudringen, es stellt zugleich den einzigen Weg dar, um ihn zu verlassen – und wird so zum Dreh- und Angelpunkt der Pläne aller Beteiligten. Es ist ein Fluchtfahrzeug, ein Weg nach Hause, ein Zugang zu neuen Welten, ein Rettungsanker und eine Bedrohung – so wie das Raumschiff der Siedler zuvor. Die Gründe für seinen Absturz sind der Schlüssel zu allem, was auf dem Mond geschieht. 

 

„Erstkontakt – der Sturm“ ist eine hochspannende Erzählung, die um die faszinierende Idee der Entdeckung von Hinterlassenschaften einer extraterrestrischen Kultur kreist, unserer eigenen weit voraus. Die geheimnisvolle Maschine der Krell ist wie der Heilige Gral aller Forscher und Sucher, die von der endgültigen Antwort auf die Frage träumen, ob wir allein im All sind. Und wenn wir sie fänden, wie würden wir mit diesem Wissen umgehen? Könnten wir überhaupt erfassen, was wir gefunden haben? Wie würden wir es einsetzen? Wären wir dafür schon bereit?

 

Cawdrons Roman endet nicht mit dem Verlassen des Mondes. Anders als bei Shakespeare gibt es keine Wiederherstellung der alten Ordnung. Was auf dem Mond geschehen ist, stellt eine Zeitenwende dar, auch wenn die Menschheit sich dessen nicht bewusst ist. Der eigentliche Erstkontakt erfolgt auf der Erde und bleibt weitgehend unbemerkt. Dieser dritte Teil des Buches vermag nicht so recht zu überzeugen, weil er allzu offensichtlich auf die Furcht (und den festen Glauben) vieler US-Amerikaner abzielt, dass ein Erstkontakt längst stattgefunden hat, dass wir von irgendwem dort draußen beobachtet und vielleicht sogar als Beute ausgesucht worden sind. Wer sich an dieser kleinen Schwäche nicht stört, den erwartet ein fesselndes, psychologisch ausgefeiltes Kammerspiel um Schein und Sein, Leben und Tod, das Shakespeares Drama gekonnt in die Zukunft versetzt, seine Protagonisten jedoch aus den ihnen zugedachten Rollen ausbrechen und konsequent neue Wege beschreiten lässt.

 

Christine (Chris) Witt

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