Ich lese manchmal noch Schreibratgeber, aber meistens lerne ich einfach, indem ich extrem viel lese. (Und ja, ab und zu auch schreibe ...)
Diesen Schreibratgeber habe ich so genossen und so viel Nützliches gefunden, dass ich ihn gern weiterempfehlen möchte:
Writing in the Dark: The Workbook von Tim Waggoner von Raw Dog sreaming. Das Werk hat übrigens auch den Bram Stoker Award gewonnen.
Aufbau des Buchs und Zielgruppe
Es gibt zwanzig Kapitel, jedes behandelt ein anderes Horror-Schreib-Thema. Am Ende gibt es immer Kommentare von anderen Horror-Schaffenden (die ich größtenteils unterhaltsam bis nützlich fand), jedes Kapitel beinhaltet auch praktische Übungen.
Kapitel haben z. B. Themen wie "Stil" oder "Monster-Arten" und "Die Psychologie der Angst" und widmen sich jeweils einer Horror-Spezialität.
Nun ich bin eigentlich SF-Autorin (die aber auch gerade den zweiten Platz in der Kurzprosa-Sparte des Deutschen SF Preises gemacht hat, und zwar mit einer Horror-Story, nur um euch weiter zu verwirren).
Manchmal schreibe ich also auch Horror. Ich finde aber, das Workbook gibt auch einiges her für reine SF-Schaffende, die mit Horror nichts am Hut haben, einige wenige Kapitel (wie zu richtig krassem Splatter-Horror) können diese vielleicht weglassen.
Ich bin daher eher sekundäre Zielgruppe, wobei ich auch recht gern Horror lese und gelegentlich schreibe.
Ein paar Highlights
Hermann Hesse soll gesagt haben:
"Theory is when one knows everything, but nothing works. Practice is when everything works, but no one knows why."
Eine Sache, die ich lange vermutet habe, wird in diesem Buch mehrfach von vielen Seiten beleuchtet:
Damit wir uns wirklich fürchten, damit wir die Geschichte ernst nehmen (egal wie krass die darin enthaltenen Monster sind), müssen wir den Figuren erst nahe kommen. Wenn uns die Figuren nicht kümmern, oder sie für uns unrealistisch, nicht wie echte Menschen vorkommen, dann ist egal, wie gut die Plot-Ideen sind: wir nehmen die Story nicht ernst.
Ich möchte betonen, dass für mich dasselbe auch für Science Fiction gilt. Egal wie abgefahren der Weltenbau ist. Egal wie schön der Twist. Wenn die Figuren mich nicht zuerst interessieren, komme ich vermutlich gar nicht bis zum Schlusstwist, weil ich die Geschichte vorher schon weggelegt habe.
Waggoner schreibt: "... horror stories aren't about monsters - they're about people."
Wenn man irgendwas aus dem Buch mitnimmt, dann am besten das. Aber es gibt mehr!
Nicht nur, dass es unglaublich viele inspirierende Ideen und Gedanken gibt, auch übergeordnet hat es einiges zu bieten. Es gibt einige einprägsame Abbildungen, die auch zum reinen Rezensieren nützlich sind. Hier kann man Horror-Geschichte einordnen, auf einer Art "Horror Map", von ruhig bis extrem, von real bis irreal.
So wäre Stephen Kings Die Leiche (verfilmt als Stand by me) vermutlich sehr tief unten auf der "real"-Skala und auch im "quiet"-Bereich. Wo aber sortiere ich meinen eigenen Horror ein?
Wenn ich an meine einzige veröffentlichte Horror-Geschichte denke (das oben erwähnte Morsche Haut in der Steampunk-Anthologie Der Tod kommt auf Zahnrädern), wäre diese stark im Bereich "quiet" (es unterhalten sich ja quasi nur zwei Frauen in einem Zugabteil in Gegenwart eines verwesenden Kleinkinds, das Senf isst), aber es wäre sehr weit oben auf der "unreal"-Skala, da es sich absolut nicht an die Naturgesetze hält und die beschriebenen Phänomene mechanischen, medizinischen und biologischen Untersuchungen keinesfalls standhalten.
Das muss jetzt sicher nicht bedeuten, dass ich mich grundsätzlich im Bereich "sehr ruhig und irreal" bewegen will, ich vermute aber, dass das zunächst mal meine Komfortzone darstellt.
Man kann eine Art Horror Mission Statement festlegen. Wenn ich das mal spontan versuchen wollte. könnte ich schreiben:
Wenn ich Horror verfasse, möchte ich, dass zumindest die erste Lesende (ich) davon in starker Weise berührt, beunruhigt und/oder verängstigt wird.
Es lohnt sich aus meiner Sicht nicht, sich die Arbeit zu machen für nur eine weitere halbgruselige Geschichte, die die meisten nach ein paar Stunden wieder vergessen haben.
Ich möchte ausreichend aufwühlen, dass der Großteil der Lesenden auch nach Jahren noch weiß, worum es in der Story ging. Im Bestfall behält die lesende Person die Story ein Weilchen im Kopf, wird
sie nicht mehr los, gruselt sich, schüttelt sich, muss noch darüber nachdenken.
Um das zu erreichen, bin ich bereit, mich meinen eigenen Ängsten und Ekeln zu stellen und diese in Worte zu fassen. Dazu ist mir zwar nicht jedes Mittel recht (ich habe Grenzen, die sich nach
meinen Werten richten), aber ich bin bereit, ein ganzes Stück von mir selbst dabei preiszugeben und mich selbst beim Schreiben entsprechend zu schütteln und hier und da darf mir auch ruhig ein
bisschen übel werden.
Don't overexplain!
Too many writers, perhaps influenced by simplistic horror films, overexplain things in the stories.
What these writers don't understand is that these explanations exist to make horror stories less scary for the audience.
Das kann man übrigens auch für die SF unterstreichen. Ich finde viel zu viele phantastische Storys, die zu viel erklären und das ist im besten Fall langweilig, im schlimmsten Fall macht es die Story kaputt. Plus, der gruseligste, spannendste Moment ist für mich eigentlich immer der, in dem zwar klar ist, dass es sich um Dark Phantastik handelt, ich aber noch nicht weiß, welche Art von Monster, welche Erklärung dahinter steckt. Der Moment in Salem's Lot, BEVOR ich wusste, dass es um Vampire geht. Natürlich wird das meiste irgendwann gegen Ende klar, aber ich wünschte mir doch auch sehr, man würde sich mit Erklärbärpassagen zurückhalten oder diese ganz weglassen.
Der wahre Stoff für Alpträume ist eben "the Unknown". "Horror comes from a violation of what we believe to be reality."
Leerstellen
Manchmal lohnt es sich, Dinge eben nicht hinzuschreiben. Die Leerstellen füllen die Lesenden mit ihren eigenen Vorstellungen (die normalerweise viel gruseliger sind als alles, was wir uns für sie ausdenken könnten). Man denke nur an den ersten Alien-Film, in dem man das Monster kaum sah!
Monster und Menschen
Darüber hinaus lerne ich eine Menge über mit bekannte Monster (Dracula, Hannibal Lector), mir unbekannte und vielleicht bald welche, die meiner Phantasie bald entspringen werden.
Ich lerne die Unterschiede der Reaktionen (Disgust, Shock, Horror und Terror) und wie man diese zeigt. Es gibt andere nützliche Listen, wie ich was darstellen kann, wann welche Erzählgeschwindigkeit angesagt sein könnte, Anfängerfehler, Profi-Vorgehensweisen. In diesem Buch werde ich noch oft nachschlagen!
Fazit
Für mich als Autorin phantastischer Kurzprosa und begeisterte Leserin ebensolcher (plus Rezensentin) ein tolles Buch, das mir einige neue Perspektiven gezeigt hat und mir hilft, bereits vage Bekanntes besser zu sortieren.
Falls ich mal Zeit habe, könnte ich sogar einige der Übungen machen, viele davon klingen einfach herrlich!
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Christian Hornstein (Samstag, 04 November 2023 07:46)
Liebe Yvonne,
Deine Rezension ist wirklich aufschlussreich. Du sprichst mehrere wichtige Themen an und ich kann Dir und dem Ratgeber in vielen Punkten zustimmen. Ich schreibe für gewöhnlich keine Horrorgeschichten, weil der Horror in meinen Geschichten nicht im Vordergrund steht. Aber die Natur der entsprechenden Gefühle ist tiefgründig.
Für das Schreiben von tiefgründigem Horror gilt sicherlich das gleiche wie für jeden anderen Aspekt menschlicher Regungen: Ohne in Deine eigenen Katakomben zu steigen, kannst Du nichts Gehaltvolles hervorbringen. In der Phantastik hat das z.B. Ray Bradburry immer wieder gesagt. Und gewiss geht es um uns Menschen. Die Monster sind ja nur Projektionen unserer eigenen Abgründe.
Wieviel wir in einer Geschichte erklären und wie wir das tun, hängt natürlich davon ab, was wir damit erreichen wollen. Ich neige z.B. dazu bei SF in Bezug auf wissenschaftliche Fundiertheit zu viel zu erklären. Bei fast allen anderen Aspekten neige ich dazu, zu wenig zu erklären. Welches Maß adäquat ist, hängt von der Zielgruppe ab. Ich finde es nicht leicht, es für möglichst viele passend zu machen.
Die größte Angst haben wir natürlich vor der Bedrohung, der wir kein Gesicht geben können, und die alles sicher geglaubte in Frage stellt. Den größten Horror empfinden wir angesichts der Verdamnis, die jenseits des Todes fortbesteht, ohne Hoffnung auf Erlösung.
Ich bin ein großer Fan von Leerstellen, habe aber festgestellt, dass es eine Kunst ist, dafür zu sorgen, dass sie auch adäquat gefüllt werden. Das ist nämlich nicht selbstverständlich.
Interessant finde ich Horror, wenn er mich auf etwas existentielles aufmerksam macht und eine Erkenntnis hervorbringt. In der SF gibt es z.B. den Topos des Uploads unseres Geistes, in der Annahme, die digitale Entität hätte ebenfalls ein Bewusstsein. Was dann mit dieser Entität alles passieren könnte, haben Autoren wie Richard Morgan (Altered Carbon) oder Ian Banks (Surface Detail) sauber durchdekliniert ... und es ist der blanke, aber erkenntnisreiche Horror.