· 

“Du magst sagen, ich sei ein Träumer, doch ich bin nicht der einzige” von Achim Stößer

"Wieso gibt es kein Best-Of bei den SF-Storys in Deutschland?", fragte mich Nelo Locke vor einiger Zeit. "Gibt es doch woanders auch."

 

Ja, gibt es, und die britischen oder amerikanischen oder manchmal auch übergreifende, internationale Anthologien lese ich auch gern.

 

Ein Best-Of aus mittlerweile knapp 500 Kurzgeschichten, die in Deutschland jährlich erscheinen, wäre keine üble Idee. Zumal viele Anthologien nicht ausreichend beachtet werden, weil sie etwas abseits des Mainstream erscheinen.

 

Ein schönes Beispiel ist hier Jenseits der Traumgrenze, die Anthologie beinhaltet mindestens drei, eher fünf SF-Kurzgeschichten (je nachdem wie streng man die Genregrenzen zieht), darüber hinaus bietet sie einige phantastische Erzählungen und welche, die in den Bereich Fantasy fallen. 

 

Ein jährliches Best-Of, um eher abseits erschienene Kurzgeschichten noch mal zu feiern und ihnen mehr Publikum zu bescheren wäre fein, aber: Wer würde das organisieren, wer würde das machen und wer soll das alles entscheiden?

Es gäbe sicher fünfzig Kurzgeschichten, die gut genug für ein Best-Of wären.

  • Wer soll da die besten fünfzehn heraussieben?
  • Und wer liest die knapp 500, um das zu entscheiden?
  • Würde ein Best-Of nicht sowieso viel zu spät (beispielsweise für die Nominierung zum Kurd-Laßwitz-Preis) erscheinen?

Nach einiger Bedenkzeit antwortete ich Nelo: "Ich glaube nicht, dass wir das organisieren sollten, aber ich habe eine andere Idee, die niederschwelliger ist."

 

Ich stellte Nelo meine Idee vor:

Wie wäre es, wenn wir meinen Podcast auch mal für Lesungen nutzen? Ausschließlich SF, nur vollständig gelesene Kurzgeschichten. Vorerst lesen die Menschen, die den Text auch verfasst haben. Wir machen eine kurze Vorstellung, dann Lesung, danach schließen wir ein kurzes Interview an. 

 

Ich wollte den Fokus auf Storys legen, die für den Kurd-Laßwitz-Preis relevant sind (im laufenden Jahr erschienen, SF, erstmalig veröffentlicht). Plus, (zumindest vorerst) die Einladungen auf jene Geschichten beschränken, die bisher noch nicht viel Aufmerksamkeit erregt haben.

 

Aus verständlichen Gründen spielte es bei meiner Einladung auch eine Rolle, dass jemand gut vorlesen kann. Nelo und ich können beide anständig vorlesen, aber wir sind keine Profis, und es hat einen gewissen Charme, wenn der Autor, die Autorin, Autorx, selbst liest. 

 

Achim Stößer macht mit  “Du magst sagen, ich sei ein Träumer, doch ich bin nicht der einzige” den Anfang.  Die Kurzgeschichte erschien Anfang 2023 in der Anthologie Jenseits der Traumgrenze (Hrsg: Marianne Labisch und Gerd Scherm) bei p.machinery. 

 

Ich mag seine Art vorzulesen sehr und dank Corinna Griesbachs Kurzvideos für die Zeitschrift Haller bei Insta war ich schon mal in den Genuss gekommen. Die Story hatte ich Anfang des Jahres schon gelesen und bedauert, dass sie bisher kein breiteres Publikum gewonnen hat.

 

Ich lud also Achim ein, bei der Aufnahme konnte ich ihn beim Lesen auch beobachten (das könnt ihr leider nicht, nur Ton, da Podcast). Dies ist schade, denn auch die Mimik fand ich ansprechend. Ich habe mich selbst auf stumm gestellt, um Nebengeräusche zu vermeiden, während der Lesung fragte ich mich, ob das wohl eine gute Idee war, da ich mehrmals laut lachen musste - allerdings an mindestens einer Stelle so laut, dass er wohl das Lesen hätte kurz unterbrechen müssen. 

 

Seine Story zieht Religion ziemlich durch den Kakao. Sicher nicht für streng gläubige Menschen witzig, die ihre Religion sehr ernst nehmen. Für mich als Nichtgläubige ist es hochwitzig - und trotzdem zwischendurch grausam (da viele Religionen nun mal grausame Komponenten haben oder davor drohen), daher war der Schluss für mich eine Erlösung (ja, mir ist die Ironie bewusst!). 

Ich lerne etwas über Götter wie den japanischen Gott des Stuhlgangs oder über Pinguine. Die Story ist hervorragend strukturiert und ein Teil des Humors zieht sich aus gekonnten Wiederholungen oder Anspielungen auf vorher erwähntes. Es gibt eine klare Prämisse, die hier ansprechend verpackt wird, die Klischees sind offenbar dem Autor wohl bekannt, so dass er sie hervorragend verdrehen kann. Die gewählten Metaphern passen zum Genre SF und zum Thema des Texts. Einige Witze sind ein bisschen böse, was aber die Prämisse gut unterstreicht.

 

Insgesamt eine tolle Kurzgeschichte, die mehr Publikum erfahren sollte. Hier geht's zur Podcast-Lesung - viel Spaß!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0