Inhalt
Ein Riesen-Wettbewerb, ich kenne irre viele, die eingereicht haben und abgelehnt wurden. 400 Einreichungen und eine Vorauswahl wurde getroffen, aus den ausgewählten Beiträgen von einer Jury die besten Beiträge zusammengestellt sowie die Top-Geschichten prämiert, die da wären:
In der Kategorie Kinder und Jugendliche:
Emilia Theisen mit„2050 – Du kommst nicht weg“
Meike Liang mit „goldschnittleben“
In der Kategorie Erwachsene
Janika Rehak mit „Nordmeer-Delfine“
Christian Endres mit „Die Straße der Bienen“
Lilli Hochstadt mit „Wir sind die Zukunft“)
Meine Highlights
24 Geschichten, da können mich nicht alle ins Herz treffen. Ich konzentriere mich daher in meiner Rezension auf meine absoluten Highlights. Eine andere interessante Rezension findet ihr übrigens bei Literatopia.
Nordmeer-Delfine von Janika Rehak
Der Protagonist Leif lebt in Stade, Stade ist nun am Meer. Der erste Satz ist alleine schon mega:
Die Luft riecht nach Salz, Kerosin und sterbendem Seetang.
Es sind aber die Details, die mich restlos überzeugen:
Wie er sein Kanu an der Seite trägt, von der die Sonne scheint, um sich zu schützen. Nur morgens kann Leif im Meer auf der Suche nach Nützlichem gehen, später wird es zu heiß sein. Seine Eltern sind bei einer Klima-Katastrophe gestorben, er lebt bei der Oma.
Streng genommen keine klassische Kurzgeschichte, in der Zeit und Raum eine Einheit bildet. Die Charaktere halten sich zwar in Grenzen - Leif, zwei seiner engsten Freund:innen, seine Großmutter - und der Raum begrenzt sich auf sein Zuhause, aber es gibt einen kleinen Zeitsprung, mit dem ich aber mitgehen kann.
Das Ende ist fast "reha-esk", eine Mischung aus Traurigkeit und Schönheit, die man auch bei Onkel Nate, vor allem aber bei The Mechanical Circus findet.
Das ist eine Art phantastischer Climate-SF, die sich zwar durchaus an die Naturgesetze hält und eine plausible Zukunft zeigt, aber mittels des Nordmeer-Delphine auch etwas wagt.
Großartig. Kein Wunder, dass sie zu den Gewinner-Storys gehörte.
Die Straße der Bienen von Christian Endres
Das ist seine bisher beste Story und ich habe sicher zwanzig oder so von ihm gelesen (es war eine Story-Sammlung dabei). Seine Mainstream-Formulierungen halten sich in Grenzen, es ist flüssig und sehr angenehm verfasst. Dem Ich-Erzähler komme ich rasch nahe, er macht sich in vielerlei Hinsicht verletzlich: Er ist verliebt, die Beziehung ist mindestens stark ambivalent und nicht so, wie er sie gern hätte; es gibt eine starke Freundschaft zu Yeliz, die idR seine Beifahrerin ist.
Sein Beruf: Er fährt den Wagen, der die Bienen (plus Zubehör) transportiert, "die Straße der Bienen" entlang bis zu einem Einsatzort von Leuten, die sich das leisten können. Leider ist die Umwelt so belastet, dass das oft der einzige Einsatzort der Bienen bleibt, zu groß ist die Gefahr für die Bienen.
Aber auch andere, einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen wollen die Bienen.
Die Perspektive ist super. Der Plot ist in aller Kürze irre spannend (ja, spannend, tatsächlich ist das mal eine Kurzgeschichte, die eine Menge Spannung aufbaut!) und menschlich, plus einer Menge plausiblem Weltenbau. Tolle Near SF.
Beim Schluss habe ich erst überlegt, ob der mir vielleicht weniger gut gefällt. Aber dann bin ich doch mitgegangen, es passt. Gitta - damit könnten wir gemeint sein. wir alle hier.
In der Trockenzeit von Marcus Hammerschmitt
Hier merkt man , dass es sich um einen SF-Autor handelt (in der Anthologie schrieben viele mit, die nichtphantastische Autor:innen sind und nur mal an 2050 gedacht haben, offenbar ohne jede SF-Erfahrung). Rein inhaltlich glaube ich nicht, dass es 2050 schon den dort beschriebenen Trockenschlaf geben wird, aber mit dem restlichen Weltenbau gehe ich mit. Die Geschichte ist kurz, ergreifend und ein wenig unklar. Ist es ein unzuverlässiger Erzähler?
Eine Story mit einigem Subtext, richtig gut, werde ich auf jeden Fall Ende des Jahres noch mal lesen.
Ab hier folgen leichte Spoiler:
Dieser Renate (neue Freundin der Hauptfigur) ist doch nicht zu trauen, oder? Ich finde keine Textnachweise, habe aber die starke Intuition, dass sie entweder hinter allem steckt oder seine Situation zumindest schräg ausnutzt. Wird sie ihn je wieder erwecken oder einfach sein Hab und Gut übernehmen?
Bei Liebe zur Mutter werde ich ja sowieso ganz weich. Aber mir ist aufgefallen:
Als die Mutter in den Trockenschlaf will, lässt er sein Equipment veraltet wie es ist und lässt es lediglich prüfen. Als er selbst trockenschlafen muss, kauft er vorher das neueste Modell. Klar, er hat nun eine schlechte Erfahrung gemacht, aber trotzdem fiel mir das auf.
Zwei Grad von Pia Marie Hegmann
Es gibt mehrere Perspektiven (im Buch farblich gekennzeichnet), unterbrochen von Nachrichten. Die zwei Grad sind fast erreicht. Man kommt den Figuren recht nahe. Es steckt eine Menge Wut und Frust in den Figuren, trotzdem ist es der Autorin gelungen, eine Geschichte zu schreiben, kein aufgeregtes Pamphlet. Es ist nicht zu plakativ, bleibt immer an der Story dran. Das hätte bei diesem Thema auch leicht danebengehen können. Vermutlich hat sie sich stets vorgestellt, wie das alles für die Figuren wäre - ist ihren Figuren treu geblieben und hat es daher geschafft, mich zu fesseln.
goldschnittleben von Meike Liang
Von der Autorin habe ich nie etwas gelesen, ihre Schreibe klingt aber, als könnten wir in der SF gern mal mehr von ihr lesen.
Es liest sich eigentlich nicht wie eine Kurzgeschichte, eher wie ein Roman, ein Ausschnitt aus etwas längerem. Es endet auch mitten im Nichts. Ich vermute (oder hoffe sogar), dass es nur ein Ausschnitt aus einem Roman ist, eine Zusammenkürzung, ich würde den Roman dazu nämlich gern lesen.
Einige lose Enden gibt es auch. Mich hätte sehr interessiert, was es damit auf sich hat, dass jede Person nur eine bestimmte Anzahl von Stunden schlafen darf. Der jüngere Bruder Bas der Ich-Erzählerin Daria (15) schläft zu viel und darf sich nicht überanstrengen. Dabei wäre ich gern geblieben, aber dann geht es mehr um ihre ältere Schwester, generell um Überwachung und Weltenbau. Alles schon irgendwie interessant, aber nicht kompakt genug.
Der Ton hat mir aber gefallen. Gern mehr davon.
Der Lufthändler von Michael Jahn-Awe
Das ist insgesamt eine lesenswerte Geschichte über einen ausreichend sympathischen Lufthändler. Man erfährt zwar nicht viel über ihn, ich bin ihm aber gern einen Tag lang gefolgt. Der Weltenbau war in Ordnung, beschränkt sich auf einen Hauptaspekt (Sauerstoff), was aber im Rahmen einer Kurzgeschichte okay für mich ist.
Ich bin unsicher, ob jemand in seiner Situation wirklich so selbstlos handeln würde. Insgesamt ein wenig hoffnungslos, die Story, aber gut, passt in die Anthologie und beleuchtet mal einen anderen Aspekt.
Ein wenig verwunderlich fand ich, dass Wasser offenbar hier fast nichts kostet (er überlegt an einer Stelle, den Hahn eine Weile laufen zu lassen), aber (zusätzlicher) Sauerstoff so teuer ist.
Hands on von Helen Winter
Trotz einiger Abstriche erwähne ich auch diese Story, da sie aufgrund des guten Endes aus vielen anderen herausragt.
Erst gibt es viel, viel Demos, Hitze und Demos bei Hitze und ein halbinteressantes Miteinander mit dem achtzigjährigen Nachbarn. Die Geschichte hat ein riesengroßes Infodump-Problem.
Dann kommt ein Twist, bei dem ich mir dachte: Wie dystopisch und nicht inklusiv ist das denn? und dann einen Schluss, der mich viel verzeihen lässt. Der Schluss ist eine schöne Idee (wenn auch die Welt, die dafür entworfen werden musste, mir total nicht schmeckt!) und sehr gut gemacht.
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Brenk, Lisa Die Katastrophenmalerin
Brenner, Pauline Verrat an der Gleichförmigkeit
Campbell, Jamie -Lee 50 Minuten Regen 359 Euro
Endres, Christian Die Straße der Bienen
Hammerschmidt, Marcus In der Trockenzeit
Hegmann, Pia Marie Zwei Grad
Hermann, Uwe Das Amt für Bürgererziehung
Hochstadt, Lilli Wir sind die Zukunft
Huray, Yasmin 2050 Schicksalsjahr der Menschheit
Jahn-Awe, Michael Der Lufthändler
Liang, Meike goldschnittleben
Rehak, Janika Nordmeer-Delphine
Rieger, Nelli Die Boxenwelt
Ring, Antonia Vertrieben
Stein, Margit Ökoterrorist*innen
Struwe, Kaja Es liegt an uns - Poetry-Slam
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Harte Fakten
Titel | Klimazukünfte 2050: Geschichten unserer gefährdeten Welt |
herausgegeben von | Fritz Heidorn und Sylvia Mylnek |
Verlag | Hirnkost |
Rezensionsexemplar | nein |
Erscheinungsjahr | 2023 |
Seitenzahl | 484 |
Anzahl Geschichten | 24 |
Original Twitter Tweet | https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1662066830792437761 |
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Marius (Samstag, 12 August 2023 12:40)
Es wäre auf jeden Fall interessant in 27 Jahren die tatsächlichen Gegebenheiten 2050 mit den Beschreibungen der Anthologie zu vergleichen ;-)
Ich lese gerade "2029 - Geschichten von Morgen" (2019). Das ist nicht mehr so lange hin.