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Visionen 2: Die Legende von Eden herausgegeben von Helmuth W. Mommers

Dieser Artikel ist Teil eines größeren Projekts, die vier Visionen-Anthologien zu lesen.

 

Interessant zu sehen, dass Carsten Kuhr auch damals schon rezensiert hat (und es sogar noch online ist). 

 

Besonders erhellend finde ich, dass es für Teil 1 offenbar 70 Einreichungen gab und für Teil 2 dann 100. Fünf waren noch verblieben, die in Teil 1 nicht berücksichtigt werden konnten und stattdessen in Teil 2 veröffentlicht wurden; von den 100 Einreichungen wurden acht (!) angenommen. Im damaligen Thread thematisiert der Herausgeber hier, dass Themenmix und Länge eine große Rollen spielten, sodass einige andere eben für Visionen 3 verwendet werden würden.

 

Trotzdem ist es beachtlich, dass nur zwischen 10 und 20 % der Einreichungen offenbar von der Qualität her passten.

An e-Star is born! von Rainer Erler

Was tun wenn der weibliche Star bei jeder Produktion nervt und sich einmischt?

Der Protagonist hat die Idee, sie digital zu kopieren und fortan nicht mehr mit dem Mensch, sondern mit der digital erstellten Schauspielerin zu arbeiten.

 

Rechtlich kann er das in trockene Tüten bringen, nur ängstigt diese Möglichkeit ganz Hollywood und es kommt zum Streik

 

Die Story ist gut zu Ende gebracht und deutet eine noch viel originellere Wendung an: Was, wenn der Star längst tot ist und trotzdem weiterhin neue Filme mit ihm erscheinen? (Oder, sofern es sich um Gesangskünstler:innen handelt: Musikvideos?)

 

Etwas zu dick und ganz und gar nicht empowernd empfand ich die Darstellung der Schauspielerin (zumal sonst keine Frau zum Ausgleich vorkam) und die Nacktszenen und Brustszenen trugen für mich nicht wirklich etwas zum roten Faden bei.

Höchstens, dass es erschreckend ist, wie sich Nacktszenen mit e-Double erstellen lassen (inklusive Orgasmus), auch wenn die Darstellung der nackten Details ggf. von jemand anderem stammen.

Spiegelbild des Teufels von Thorsten Küper

Ein bisschen komplexer als seine Story in Visionen 1, aber schöne Twists, sprachlich erneut sehr ansprechend.

Eine vermutlich für den Autor typische Mischung aus fiesen brutalen Szenen und Menschlichkeit, die ich vermutlich alsbald als typisch identifizieren werde (sobald ich mehr als vier Storys kenne, offenbar kommt ja bald eine Story Sammlung von ihm raus, die ich mir reinziehen werde (ich ziehe mir nebenbei schon mal Belichtungszeit rein, seine Story-Sammlung, die eben erschienen ist).

Schöner Schluss, plus, auch eine starke Frauenfigur inklusive. 

Lesenswert!

Neulich im Garten Eden von Ernst Vlcek

Lupenreine SF ist das für mich nicht. Nicht unkomisch, ja, eine Anekdote aus außergewöhnlicher Perspektive; sprachlich flüssig mit netten Twist am Ende

Für mich aber tatsächlich nur nett, nicht mehr.

Die fehlende Stunde von Tobias Bachmann

Da war ich ja fast überrascht, dass am Ende sogar einige Fragen beantwortet wurden, sofern man das so nennen kann.

Ist das Slipstream?

So richtig kafkaesk kann meiner Meinung nach nur Kafka. 

Nichtsdestotrotz haben mich einzelne Szenen begeistert, auch Dinge am Ende, die überraschenderweise dann doch noch wieder aufgenommen wurden oder gar einen Abschluss fanden.

Insgesamt aber eher anstrengend. Nicht ganz meins, aber spaßig in seiner Absurdität. Nett war der Mann, der darauf bestand, das Ende der Schlange zu bilden. Und steht man noch hinter der Person, sobald diese sich umdreht und falsch herum ansteht?

Wäre der Text kürzer gewesen, ich wäre vermutlich mit allem besser mitgegangen.

Hitler auf Wahlkampf in Amerika von Oliver Henkel

Alternate History dreht sich offenbar oft um die Nazis, und viele können das kaum noch ertragen, selten gelingt es so gut wie bei Jo Waltons Carmichael Trilogie.

Hier ist es schwer zu ertragen, zumal Hitler in Person vorkommt. Hitler und der personale Erzähler Heldt unterhalten sich eher plakativ als subtil über Rassismus (N-Wort inklusive) und die vermeintliche Bedrohung der arischen Rasse. 

Ungewöhnlich finde ich, dass diese Geschichte 1929 spielt und das deutsche Reich aber bereits auf die USA ausgeweitet worden ist, plus, Hitler dort auf al Capone stößt.

 Do Not Trust your translator! Heldt reitet den Führer ganz gewaltig in den Schlamassel, indem er durchaus nicht adäquat übersetzt. 

Ein wenig mehr Zeit hätte man sich für den Gesinnungswandel Heldts ruhig nehmen können. Nur weil dieser sich spontan in eine Frau mit jüdischen Vorfahren verliebt … nein, das ist mir zu dünn! 

Irgendwie ist die Story schon nett, aber aufgrund der Einschränkungen, die ich beim Lesen verspürt habe auch nicht mehr als das.

Ausgleichende Gerechtigkeit von Frank Borsch

Das war nicht meins. Klar, einige Anspielungen habe ich verstanden (dein Freund Harvey), aber insgesamt ging das an mir vorbei. Perspektive zweite Person Singular ist auch fast nie mein Ding.

Ich enthalte mich.

Materia Prima von Thomas Thiemeyer

Sprachlich flüssig, gut aufgebaut, ein bisschen zu sehr auf Phrasen zurückgegriffen. Ich mochte die Idee sehr. Die klassische "Ich wurde von Aliens entführt"-Nummer mal weitergedacht, in einem sehr gelungenen Setting beim Psychologen.

Der Schluss war ein wenig ereignislos im direkten Vergleich zu der unglaublichen coolen Plot-Idee.

Gut fand ich auch, dass die weibliche Nebenfigur eben nicht nur auf Schönheit reduziert wurde, sondern als sympathisch beschrieben wurde und als Detail ihr Akzent genauer beschrieben wurde. Plus, sie wurde von ihrem Kollegen im Dialog auf Augenhöhe betrachtet. 

Cosmo Pollite und der Zwischenfall im InterStellar Express von Andreas Winterer

Das soll ganz offensichtlich lustig sein und auch ein wenig eine Parodie (ich nehme mal an, Nataschas wohlgeformte Schenkel gehören dazu), darüber hinaus kommen wir so ziemlich alle Eigennamen bekannt vor, die sind bereits besetzt mit Persönlichkeiten aus der menschgeschichtlichen Vergangenheit. 

Das ist allerdings alles sehr wenig subtil und schreit mir ein bisschen zu sehr ins Gesicht, was ich anstrengend finde. Der Stil verlässt sich auch sehr auf Phrasen und bekannte Formulierungen, was womöglich Teil der Parodie ist.  

Hier habe ich zum ersten Mal eine Story in den Visionen abgebrochen, den Stil habe ich nicht länger als fünf Seiten durchgehalten.

Planck-Zeit von Michael K. Iwoleit

Ich bin eh Fan des Autors und kenne eine Menge seiner Kurzgeschichten und Novellen bereits aus Story-Sammlungen und Best-Ofs wie Die Stille nach dem Ton.

 

Hier unterhalten sich gleich zu Beginn zwei Wissenschaftler und werden mittels Dialog gekonnt charakterisiert, nicht nur in ihren Persönlichkeiten, sondern auch in ihrer Beziehung zueinander, gleichzeitig wird das Thema festgezurrt. Ich fühle mich als Leserin sogleich wohl und habe das Gefühl, hier weiß jemand ganz genau, was er tut, zumal es sprachlich angenehm ist und die Dialoge echt klingen, ich kann die beiden geradezu in meinem Kopf hören. 

Alsbald kommt eine Frau dazu, die zwar spärlich bekleidet, aber dennoch kommunikativ mindestens auf Augenhöhe (teilweise sogar drüber) agiert und letztendlich ein Mathematiker, der auf ein unerklärliches Phänomen gestoßen ist.  

Wie so oft bei MKI habe ich auch hier das Gefühl, er weiß inhaltlich genau was er tut und fühle mich bei Details rund um die Programmierung und Mathematik gut aufgehoben. Zudem werden die Personen so eingeführt, dass ich sie gut voneinander unterscheiden kann, leider keine Selbstverständlichkeit in Kurzprosa. 

Die Auflösung war sehr schön und wie ich mir schon gedacht hatte, hat sie durchaus etwas mit dem Anfangsdialog rund um Adams Bauchnabel zu tun. 

2 hoch 64 von Marcus Hammerschmitt

Ich bin beeindruckt, wie die beiden Themen der Story ganzheitlich und von allen Seiten beleuchtet werden, sowie früh begonnen: Exponentielle Vermehrung und Metamorphose. Passenderweise ist die Hauptfigur Biolehrer, so dass zweiteres auch erstmal harmlos und alltäglich betrachtet werden kann, bevor es phantastisch wird.

Der unheimliche Ort um das verlassene Auto in der Tiefgarage, der zu Beginn vorgestellt wird, ist auch zentral wichtig.

Das ist so schön unbeliebig, hier habe ich das Gefühl, ich kann einiges über Kurzgeschichten lernen (eher so auf die Tarantino-Art "I did not go to movie schools, I went to movies"). Nicht gerafft habe ich die B-Story. Was steckte denn dahinter? Womit hatte der arme Vater das denn verdient? Vielleicht doch nochmal lesen ...

Weiter oder Raus von Andreas Gruber

Okay, Herr Gruber, wir müssen reden!

 

Das war jetzt die dritte Kurzgeschichte in kurzer Abfolge von Ihnen, die ich lesen musste und diese hier war zwar rein inhaltlich/stilistisch die beste, aber auch die ekelhafteste und, ich befürchte, für mich komplett sinnfrei. 

 

Ich vermute stark, die Prämisse geht in die Richtung: dystopische Welt, wirklich ekelhafte Gameshows, bei denen Leute körperlich (und sicher auch seelisch) stark versehrt werden; schau doch mal die Gameshows heutzutage, sind die nicht dasselbe in klein?

 

Da mein Fernseher aber weit vor dem Dschungelcamp kaputt gegangen war und ich die Show bestenfalls aus BILD-Schlagzeilen kenne, die einen aufdringlich in öffentlichen Verkehrsmitteln in den Bann ziehen, ist diese Story an mich irgendwie verschwendet.

Ich finde sie nur massiv verstörend und ich dachte immer, es käme noch was, doch noch eine Auflösung, die über das reine Grauen hinausgeht. Klar, wenn ich nett wäre (aber damit wollte ich ja aufhören), könnte ich schreiben, dass die Botschaft ähnlich lautet wie beim Todesmarsch: Bei wirklich fiesen Spielen gewinnt niemand, auch nicht der Gewinner.

Rein rechnerisch ist eine Story auch fieser, bei der 99 (eigentlich 100) Jugendliche ihr Leben lassen als eine, bei der drei nicht wirklich sympathische Erwachsene lauter Gliedmaßen und vermutlich auch Verstand lassen.

Es bleibt aber dabei: Trotz der Abblenden zur Werbung ist es ekelhaft und ich will so etwas nur dann lesen, wenn ich am Ende sehe, dass die Botschaft es wert war.

Die war es hier für mich nicht. (Ich sehe aber durchaus, dass die Geschichte damals viele Fans hatte.)

Ich habe mal einen Thriller von Gruber gelesen (den ich damals auch gut fand), heutzutage mache ich um Thriller aber einen Bogen und ich fürchte, Gruber ist eben eher ein Thriller als ein SF-Autor.

Schätze der Zukunft von Desirée Hoese and Frank Hoese

Eine intelligente, gut geschriebene SF-Zeitreisestory, die mir viel Spaß macht und ganz nebenher auch verdammt gekonnt die futuristische Welt aus den Augen von jemandem beschreibt, die wirklich noch nie eine elektrische Lampe gesehen hat. Der Schluss sitzt perfekt. So sollen Kurzgeschichten sein!

Und was machen die Herrschaften heute?

Die Legende von  Eden von Frank W. Haubold

Wenn man eine längere Story liest, dann erst Tage später wieder am Laptop ist, bleiben leider viele Details im Dunkeln und ich kann ja in Print nicht markieren (zumal die Bücher nur geliehen sind).

Sofort gepackt hat mich der Kälteschlaf der Partnerin mit einem Projektil im Kopf, von dem sie hoffen, es irgendwann in der Zukunft entfernen zu können. Das gab dem Protagonisten sofort eine Story und ich war auf seiner Seite. Da hat Haubold etwas gemacht, was viele sonst leider versäumen und dafür alleine schätze ich ihn. Meine Hoffnung, dass er daraus am Ende noch etwas macht, wurde nicht enttäuscht, und das blieb sogar subtil und ohne Melodramatik. Nun habe ich zur eigentlichen Hauptstory nichts gesagt, die auch weniger mein Subgenre ist, beim Lesen hatte ich das Gefühl, aber auf eher neue als abgedroschene Ideen zu stoßen. Nun, mit diesem Autor beginnen ja die Visionen 3, zu der Story dann zum Ausgleich mehr.

Und er ist ja noch aktiv, im Januar in der NOVA 32 soll es am Ende eine Novelle von ihm geben. Ich bin gespannt. 

Abgeschweift: Frauenfiguren in der deutschsprachigen SF von 2005

Mir fällt auf, dass Frauen recht oft nur als Nebenfigur oder zierendes Beiwerk (oder bestenfalls Love Interest) vorkommen, fast immer werden dabei labelnde Adjektive verwendet, wie schön, umwerfend oder hübsch, oder Details zu Körperbau, gern zu Busen und Po. Fast immer sind die Frauen gutaussehend.

Auch nicht so schön empfinde ich es, wenn eine männliche Figur die Freundin ein paar Wochen lang nicht beachtet, sein Freund sagt, dann könne er sie sich sie ja mal "vornehmen". Das erscheint mir keine sehr respektvolle Haltung, selbst wenn es mit einer Portion Humor garniert wird. 

 

Es gibt auch Ausnahmen, auch in dieser Anthologie (die ja schon einige Jahre auf dem Buckel hat), in den Kurzgeschichten scheinen die Damen echte Menschen zu sein und keine gephotoshopten Plakatdamen, die einen eine Errektion erleiden lassen (um mal auf eine originelle Stelle aus Band 1, aus Hammerschmitts Story anzuspielen).

 

Wäre die Anthologie von 2022, ich würde ein wenig lauter jammern, daher hier nur am Rande.

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