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Queer*Welten Ausgabe 8

Inhalt

Aufgeregt marginalisiert! Casual Queerness kommt dann später. Darüber sprachen wir auch beim Podcast, als alle drei Herausgeber:innen freundlicherweise bei mir zu Gast waren.

Ab dieser Ausgabe werden die Magazine seitenstärker, die Frequenz der Veröffentlichung dafür seltener. Für mich heißt das, ich kann hoffentlich wieder längere Rezensionen leisten!

Neben SF- und Fantasy-Kurzgeschichten gibt es diesmal auch 100-Wort-Geschichten. Die sind sehr kurz, oft sehr cool, bieten aufgrund der Kürze oft nur eine Idee. Ich bitte um Verständnis, wenn ich nicht alle rezensiere. 

Storys

Ritorna Vincitor von Caroline Lüders

Urban Fantasy und zwei unterschiedliche Arten von Hexen, dazu Auren, Gefühle und eine magische Erklärung für Depressionen, dazu eine verantwortungsvolle Aufgabe der Hauptfigur.

Fantasy ist ja selten meins, ich suche eigentlich nur die SF-Storys, aber hier möchte ich doch mal loswerden, dass ich den gelungenen Spagat zwischen Liebeskummergeschichte und magischem Weltenbau sehr bewundert habe. Das bringt mir genug Nähe zur Hauptfigur durch Dinge, die ich kenne und führt mich behutsam zu der Welt neben der mir bekannten, die ich durch diese Story erleben darf. So geschieht der magische Weltenbau fast von mir unbemerkt und mein phantastischer Muskel zuckt nicht gleich erschrocken zurück.

Alleine schon die Details zu Beginn und das viele Ungesagte - zu Weihnachten noch ein gebatiktes Shirt (und ja, das macht Mühe und rissige Hände!) und zu Silvester dann Schluss gemacht. Da versteckt sich eine ganze Welt hinter diesen Informationen.

 

Der Zustand der Welt von Aiki Mira

Zwei Hauptperspektiven haben wir hier: Jene von Xiang, der (anfänglich) versucht, seinen Auftrag im Sinne seiner Chefin ("Groß, breitschultrig und unerhört") zu erledigen und jene von Marie. Beide befinden sich auf dem eigentlichen Zenit der Story auf derselben Party, bei der auch die ganze Action stattfindet.

Xiang wird oft für eine Frau gehalten (er trägt Perma-Make-Up, besonders cool fand ich, wie ihn Marie im Klo nach Tampons fragt - wobei diese Szene noch aus anderen Gründen sehr gut im Kopf bleibt!). Außerdem vermeidet er Mansplaining, schon ist er mir sympathisch. Zumal er seinen Job  bei einem Münchner Anzeigen-Blog mit der richtigen Portion Leidenschaft und auch Leidensfähigkeit erledigt.

 

Auf dieser Party geschehen schon krasse Dinge, die teilweise aufgrund der eindringlichen Beschreibung ein wenig weh tun. Der häufige Perspektivwechsel zwischen Xiang und Marie ist mittels Buchsatz perfekt angezeigt, so dass ich nie den Überblick verliere. Sprachlich ist die Geschichte bemerkenswert, so stilsicher, dass ich mittlerweile überzeugt davon bin, den Stil der Autorx jederzeit wiedererkennen zu können. 

 

Beim ersten Lesen hatte ich noch den Eindruck, es ginge um mehr als ein Thema. Beim zweiten und dritten Lesen kam das Geschehen mir viel zielgerichteter und klarer vor.

Ich denke, die vermeintliche Mehrthemigkeit liegt an der Fülle an Details zu Figuren, Schauplätzen und Gedanken, die ich sehr genieße, die mich aber beim ersten Kontakt zu der Geschichte auch ein bisschen überspült haben.

 

Die Detailfülle ist der Wahnsinn und ich frage mich wirklich, warum nicht mehr Menschen so schreiben. Klar, ich muss des Plots wegen streng genommen nichts über die Interims-Mitbewohnerin von Xiang wissen. Aber warum er eine braucht und wie er sie erlebt, füllt sowohl die Figur Xiang als auch die Welt so sehr mit Leben, dass es eine echte Pracht ist. Das soll eine Kurzgeschichte sein? Ja, sie ist kurz, okay, aber in jedem Satz steckt so viel Action, so viel pulsierendes Bibbern, dass es eigentlich viel mehr ist als eine Kurzgeschichte. 

Der Drogenkonsum, das Versprechen von Sex, die Fremdartigkeit der SF-Gizmos, das alles macht mich irgendwie fertig und zieht mich zeitgleich an. Alleine wie Xiangs Körper im Vergleich zu dem Biohacker Emre beschrieben wird, aus Xiangs Perspektive, der in diesen knochigen Knien steckt. Da fühlt sich der e igenen Körper gleich ganz neu an!

 

Durch die Fülle der Details ist das eigentliche Thema schwer zu erkennen und das ist auch gut so, denn das ist kaum zu ertragen. Wenn es Bots gibt, gibt es auch Sexbots. Soweit, so bekannt. Aber was ist mit Bots, die wie Kinder aussehen? Die Figur Marie bezieht hier klar Position. (Gab es das als Thema schon mal? Meine Expertenleute sagen ja, wenn das auch wohl eher mal daneben gegangen ist in der Vergangenheit.)

Der andere Konflikt, der aber stark damit zusammenhängt, ist ein klassisches SF-Thema: Wo fängt Bewusstsein an?

Darum drehen sich die letzten Seiten und im letzten (nicht via Buchsatz angezeigten!) Perspektivwechsel bezieht die Geschichte selbst dazu Stellung. 

 

Ein Regenbogen aus Folg von Linda-Julie Geiger

Das ist eher Fantasy, wie immer gibt es Kurzgeschichten aus den Genres SF und Fantasy in den Queer+Welten und ich traue mir nicht immer zu, viel zu Fantasy zu sagen, da ich einfach fast nichts aus dem Genre gelesen habe.

 

Hinter den Sternen von Sonja Lemke

In dieser dystopischen Leistungsgesellschaft gibt es keinen Platz für Krankheiten. Linda ist die, die arbeiten muss, Pia ist die, die es nicht schafft aufzustehen.

Ich persönlich mag es subtiler, nur hätte das nicht zu dem gepasst, was im Vorwort angekündigt wird. Ein anderer Autor sagte mir kürzlich, dass es manchmal eben nicht mit leisen Hinweisen funktioniert, die Botschaft kommt dann nicht bei allen an. Ich mag es lieber weniger deutlich, persönlicher Lesegeschmack.

Dennoch bewundere ich die wertschätzende Art und Weise, in der hier erzählt wird und die Figuren miteinander umgehen. Plus, es ist sehr flüssig geschrieben, die Dialoge passen und sind authentisch. Und hart zu lesen, weil ich mich eben ganz gut hineinversetzen kann in eine Beziehung, in der eine von beiden depressiv ist und dass dann auch noch in so einer Welt!

Und: es gibt am Ende eben doch Hoffnung.

 

Sonnenaufgang, Sonnenaufgang, Sonnenaufgang von Lauren Ring, übersetzt von Tobias Eberhard

Zeitschleife - da denke ich sofort an das Murmeltier.  Es gibt nur eben von dieser Idee so viele mögliche Varianten, plus, die Idee ist immer wieder gut und lädt zum Weiterspinnen ein.

Das erzählende Ich Amaranthe wacht jeden Tag von der gleichen Sonne auf und abends "stirbt" sie (und wacht natürlich daraufhin erneut auf). Alle Tage sind gleich. Bis eines Tages eben doch eine Astronautin vorbeischwebt ...

Zack, das erzeugt aber sofort Neugier und Spannung!

Die Story nimmt auch nicht die Wendungen, die ich erwarte und bleibt dabei die ganze Zeit in sich logisch. Bemerkenswertes Stück SF-Prosa.

Schöner Plot! 

Herausgepickte Gedanken zu einigen 100-Wort Storys

Bei 100 Worten hat ein Wort ganz schön viel Gewicht. Zuerst zu Janika Rehaks Break. Das schildert eine Szene in einer Karaoke-Bar. Dem erzählenden Ich stößt der Stimmbruch zu, mit 28. Viel gesagt wird nicht, wir Lesenden dürfen selbst denken. Für Ohrwürmer ist mit bekannten Songtiteln und/oder einem kurzen Auszug gesorgt. Dazu bietet mir die Story einprägsame, passende Sätze wie "Ich schweige in Echtzeit". Happy-End (oder auch: mutiges Ende) inklusive.

 

Barrierefrei von Laura May Strange fällt äußert positiv auf, da hier nicht durch eine phantastische Komponente eine Behinderung unsichtbar gemacht wird (bzw. geheilt, was wieder Nicht-Repräsentation bedeuten würde), sondern durch Magie ein Schloss barrierefrei gemacht werden soll. Denn die Fürstin hat geheiratet und ihre Partnerin ist auf den Rollstuhl angewiesen. 

 

Manchmal ist es auch nur ein Satzbruchstück, das hängen bleibt, wie das "Meer in seinem Innern" in Blütenregenoffenbarung von Iris Leander Villiam (wobei es da einen spanischen Film über einen gelähmten Mann gab, gespielt von Javier Bardem), hier ist der Zusammenhang aber anders und die Erleichterung und das Glück über den neuen, echten, selbst gewählten Namen wird spürbar.

 

Tasha Winter hat in Die falsche Frage eine leider sehr gängige falsche Frage gegenüber trans Personen thematisiert, zunächst schlagfertig, dann gnadenlos konsequent. Und das ist der Kürze, bemerkenswert!

 

Iva Moor in Gute Feen glitzern nicht feiere ich für "Gute Feen ficken nicht, gute Feen glitzern nur". Fickende Feen, ich muss total beschränkt sein, dass ich daran nie selbst gedacht habe! 

What is dead may never die Über toxische Nostalgie von Christian Vogt

Der Essay in den Queer*Welten ist oft mein persönliches Highlight. So auch hier (nun gut, diesmal hat er arge Konkurrenz von der Story der Zustand der Welt). Trotzdem habe ich den Essay gleich frisch nach dem Lesen gleich in den sozialen Medien gelobt, da ich ihn wichtig und auch fair finde - und ich rechne es dem Autor hoch an, dass er nicht wütend oder bitter klingt, denn ich fühlte mich so einige Male schwer erwischt. (Auch bei meiner Erwähnung der Filme Groundhog Day und Mar adentro weiter oben bin ich unsicher, ob das schon zur toxischen Nostalgie zählt.)

 

Vogt konzentriert sich hier ziemlich auf die Ghostbusters (Bill Murray zieht sich durch diesen Blogartikel wie ein Spuckefaden), der in letzter Zeit zwei weitere Filme erhalten hat - eine Neuverfilmung mit wenigen Referenzen (Ghostbusters) und eine echte Fortsetzung Ghostbuster Legacy. Vogt hat untersucht, inwiefern die Meinungen der Kritik und des Publikums auseinanderliegen - bei der Kritik kam ersterer besser an, beim Publikum mit starker Diskrepanz letzterer und stellt Überlegungen an, woran das liegen mag. 

Ich schaue seit der Geburt unserer Kinder so wenige Filme, dass ich beide nicht gesehen habe, aber ich kenne die beiden Filme aus den Achtzigern. Trotzdem konnte ich dem Essay gut folgen. (Btw.: Zu Lego-Sets inspirierten beide Kinofilme, ich weiß aber nicht, welches Set sich besser verkauft hat.)

Vogt bemerkt, dass beim Publikumsliebling Ghostbusters Legacy die alten Helden wieder helfen (und klar, auch ich mag Murray!), während bei Ghostbusters vier Frauen gegen die Geister kämpfen. Ganz alleine (glaube ich jedenfalls). (Übrigens - es gab einen Shitstorm im Vorhinein und kein Trailer bei YouTube erhielt jemals mehr Dislikes, Quelle. Die Dislikes wurden inzwischen beim Trailer gelöscht, daher hat er null, was auch seltsam aussieht).

 

Einige wollen nur "More of the same", schreibt Vogt, und rasch sei man dann wieder bei der Kontroverse, die sich seit zwei Jahren auch durch meine twitter-Timeline zieht:

Die einen beschweren sich, dass man früher noch nicht "politisch korrekt" sein musste und Kunst noch frei war (man aber alle Gruppen neben unversehrten weißen cis-hetero-Männern größtenteils ignorierte) und heute alles progressiv sein muss und überall schwarze Elben herumlaufen (der Essay wurde gedruckt, bevor die neue Serie von Herr der Ringe erschien, aber das ist ja offenbar die aktuellste Debatte dazu, unnötig zu sagen, dass ich die Serie auch noch nicht gesehen habe). 

Von beiden Gruppen scheint es nicht viel in der Mitte zu geben und rasch geht es dann nicht mehr wirklich um persönlichen Filmgeschmack. 

Die Zielgruppe von Vogt sollte eigentlich breiter sein - ja, auch ich fühle mich ertappt, aber die Leute, die sich die Queer*Welten kaufen, sind vermutlich in der Regel schon bekehrt oder zumindest an neuen Sichtweisen interessiert, sonst würden sie dieses Magazin nicht lesen.

Ab mit dem Aufsatz in die große weite Welt, würde ich sagen!

Schon alleine, weil Vogt viel reflektiert und analysiert, aber eben nicht anklagt und daher nicht anzunehmen ist, dass sich ein Großteil des "ertappten" Lesepublikums gleich belehrt oder gar bekehrt oder sogar ausgeschimpft fühlten würde. 

Außerdem ist der Essay unterhaltsam, die vielen popkulturellen Anspielungen machen Spaß und zeigen, dass auch der Autor nicht frei von Nostalgie ist, was das Lesen umso sympathischer macht. Als würde er sagen: Ich verstehe dich ja, nur schau mal hier.

Er thematisiert aktiv das "schlechte Gewissen" und betont, dass Nostalgie auch etwas schönes sein kann. Insgesamt interpretiere ich seinen Essay so, als sei aktives Umgehen mit Emotionen, sich Bewusst-werden und eben Reflektieren wichtig. Es nicht darum, die alten Filme nicht wieder zu schauen. Es kann aber auch nicht sein, dass aufgrund toxischer Nostalgie die Geschichten nie aus einer neuen, frischen Perspektive erzählt werden können. 

Möge diese Diskussion zukünftig auf fruchtbaren Boden fallen! Ich meine, letztens bei Facebook so eine Auseinandersetzung gefunden zu haben, als es um die Fortsetzung von Top Gun ging. 

Andere Reviews

Noosphäre hat sich auch weitergehende Gedanken zur letzten Ausgabe gemacht. Mein Highlight ist sein Gedanken zu Christian Vogts Aufsatz:

"Es ist im Grunde völlig widersinnig, alte Stoffe in immer der gleichen Art und Weise wiederzukäuen. Das nutzt zwar den großen Medienkonzernen, schadet aber unserer Kultur und Weiterentwicklung."

Genau! Die alten Filme können wir ja anschauen bis zum Get-No (finde ich), doch lasst uns doch bitte heute die Geschichten aus neuer Perspektive erzählen, oder eben einfach neue Geschichten.

Wie bin ich zu dem Magazin gekommen?

Ich lese die Queer*Welten immer und rezensiere sie fast immer.

Harte Fakten

Titel Queer*Welten Ausgabe 8 
herausgegeben von Lena Richter, Heike Knoop-Sullivan und Judith Vogt
Verlag Ach je / Amrûn-Verlag 
Rezensionsexemplar nein, aber Frei-Exemplar für den DSFP 
Erscheinungsjahr 2022 
Seitenzahl mehr als 100 
Anzahl Geschichten 5 plus die 100-Wort-Geschichten 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1582292100653019138 
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Kommentare: 1
  • #1

    Laura (Samstag, 22 Oktober 2022 10:27)

    Über die Szene wollte ich schon immer mehr wissen;)

    Liebe Grüße

    https://dunstabzugshaube-testsieger.de/dunstabzugshaube-test-berbel/