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Clarkesworld Magazine Issue 182

Inhalt

Großartiges Magazin! Wie immer fokussiere ich auf einige wenige der enthaltenden Geschichten, vor allem diejenigen, die mich am meisten beeindruckt haben oder bei denen ich die Idee bewundere (oder beides)

 

Wegen der Rezension zur Geschichte 

Mom Heart von Wil McIntosh im Locus Magazine hatte ich  mir das Magazin überhaupt gekauft. Zelia, die Frau des Ich-Erzählers und Mutter der beiden Töchter Karina (sieben Jahre alt) und Bluet (etwas jünger), ist gestorben. Und das auch noch plötzlich, durch einen Unfall. Vor allem Karina hat sich seitdem in sich zurückgezogen, was dadurch verschärft wird, dass sie im autistischen Spektrum ist und krasse Veränderungen kaum verkraften kann. Sie sitzt in ihrem Zimmer, wiegt ihren Körper und spricht nicht, isst auch nicht. 

"It hurt to think of her in that room, sinking deeper into herself. 

At this point, I didn't know how much of it was her autism and how much depression."

Noch näher kommt mir der Protagonist, als er beschreibt, wie sehr er sich darum sorgt, wie wenig seine Töchter essen, vor allem Karina.

"I set out two chololate éclairs, the most tempting, high-calorie snack I could think of. I't given up caring whether the food was nutritious - I just wanted Karina to eat."

Es ist ja schon schwierig genug, Nahrung, erst recht gesunde, in Kinder hineinzubekommen, die nicht gerade trauern. So bin ich bereits auf Seite 3 dick auf der Seite des Ich-Erzählers befreundet und sorge mich gemeinsam mit ihm um die Töchter. Plus, er muss ja mit seiner eigenen Trauer auch irgendwie fertig werden, wofür er sich bis kurz vor Schluss kaum Raum nimmt.

Die Geschichte ist extrem gut erzählt und birgt viele Details. So trägt Karina seit dem Tod ihrer Mutter ihre Haare offen - "so she could use it as a room to hide in". Tolles Bild!

Karinas Zustand verschlechtert sich mehr und mehr, so dass der nächste Schritt die Einweisung in eine psychiatrische Klinik wäre. Aus verständlichen Gründen möchte der Vater das unbedingt vermeiden und greift zu einer verzweifelten Idee. Mittels des Bots, der eigentlich fürs Putzen zuständig ist, erweckt er Zelia wieder zum Leben. Er setzt es so um, dass der Bot mit Zelias Stimme sprechen kann, während er selber im Schrank sitzt und die Worte wählt, dabei seine Töchter durch die Augen und Ohren des Bots wahrnimmt und die Töchter glauben müssen, ihre Mutter sei zu ihnen zurückgekommen. Da sie so jung sind, klappt das auch nach einigen zaghaften Versuchen. Es gelingt ihm besser und besser, seine verstorbene Frau zu imitieren, spielt und spricht glaubhaft mit den Töchtern und es hat auch den erwünschten Effekt: Es geht ihnen besser. Karina isst und spricht wieder.

Was eigentlich eine einmalige Sache zum Abschiednehmen hatte sein sollen, verselbstständigt sich in etwas regelmäßiges, was alsbald zu Problemen führt, allen voran Karinas Schule, die diese Methode mehr als nur bedenklich findet.

Die A-Story ist klar die: Wie der Vater mittels des Bots den Töchtern beim Trauern und Abschiednehmen hilft und verhindert, dass er wegen dieser gewagten Aktion das Jugendamt auf den Hals gehetzt bekommt.

Die B-Story wurde mir etwa nach der Hälfte klar und als Mutter kann ich dabei total mitgehen:

Es war Zelia, die in der Hauptsache mit den Kindern gesprochen und gespielt hat. Der Vater fühlte sich beim Spielen gar nicht wohl und konnte mit den Kindern nicht wirklich etwas anfangen. Sie vermissen ihre Mutter nicht nur, weil sie sie liebten, sondern auch, weil der Vater die Lücke gar nicht füllen kann, weil er sich nicht auf die Art und Weise auf sie einlassen kann. Ich fühle mich als Mutter selber ein bisschen ertappt - mit sehr jungen Kindern zu spielen ist für einen Erwachsenen tatsächlich nicht immer ganz einfach, vor allem nicht im Alltag, in dem irgendwie immer zu viel zu tun ist und sicher erst recht, wenn man plötzlich alleinerziehend ist. 

 

Das steht auch sehr explizit im Text (ich hätte das in der Form auch gar nicht so deutlich gebraucht):

 

"I, on the other hand, was not busting with ideas. I was the boring partend who felt self-conscious about pretending to be Big Bird or a Powerpuff Girl."

 

Es wird dann später im Dialog mit den Kindern sogar noch deutlicher:


"Dad doesn't know how to play. We need your Mom heart."

 

Einerseits ist das definitiv das Herz der Story und ja auch der Titel. Andererseits hätte das für mich auch subtiler laufen können. Nichtsdestotrotz finde ich die Geschichten großartig, eine der besten SF-Stories, die ich je gelesen habe und ich werde sicher gern dorthin zurückkehren.

Der Schluss bietet dann doch noch mal etwas zwischen den Zeilen, eine Spur Phantastik, die mir sehr gut gefallen hat und die Interpretationsmöglichkeiten offen lässt, ganz nach meinem Geschmack.

Und, nebenher bemerkt: Humor gibt es auch. Besonders, als er seinen Nachbarn betrachtet, der ständig mit seinem Rasen beschäftigt ist und Zelia ihn daher "The Old Man and the Lawn" getauft hat. Einfach toll!

 

Dark Waters Still Flow von Alice Towey

Während man "Mom's heart" mit Englischkenntnissen der neunten oder zehnten Klasse vermutlich leicht verstehen kann, ist das hier schon eine Spur anspruchsvoller. Man wird auch gleich im ersten Satz vorgewarnt:

"The nitrogen was rising in my aeration basins as an autumn wind scattered crimson leaves on the water". 

Das ist auch absolut SF - während "Mom's heart" fast als "Hier und jetzt mundane fiction mit einem kleinen Schuss SF der near future" durchgeht und sicherlich auch für Leute, die nie mit SF zu tun hatten, sofort verständlich ist.

Das erzählende Ich ist hier NEWT, eine KI, und es kommt eher zu einer Art Cyberkrimi im Weltall. Recht gut gemacht, die Perspektive der KI ist teilweise interessant (offenbar muss sie mit processing capacity hantieren und hat nicht unendlich viele Ressourcen), teilweise aber auch leicht daneben, weil sie sich ständig irgendwelche menschlichen Eigenschaften wünscht, was mir nicht so ganz klar wurde oder mich nicht abgeholt hat. Sie stellt sich sich selbst auch ganz gern mal als Mensch vor. Dabei wünscht sie sich die Freiheiten herbei, die man ihrer Meinung nach als Mensch so hat. Na ja. Ganz zu Ende gedacht kam mir das nicht vor. Plot war gut (sogar stellenweise spannend), die Perspektivfigur hat mich nicht so überzeugt.

 

Die letzte Geschichte, die ich ausführlich besprechen möchte ist The Language Birds Speak von Rebecca Campbell. Die fand ich extrem bemerkenswert. Stilistisch schien mir das in den Fußstapfen von Carol Emshviller zu stapfen.

Ein wenig hat sie mich vom Thema her an die erste Geschichte in der New York Trilogie von Paul Auster erinnert, "Stadt aus Glas". In "Stadt aus Glas" versucht ein Vater, seinen Sohn (Peter Stillman) durch Entzug von Sprache (niemand darf mit ihm sprechen) dazu zu bringen, die ursprüngliche Sprache, die Sprache der Götter quasi, hervorzubringen. Das ist recht grausam und zum Glück nur eine Nebenstory, die dort nicht so viel Raum einnimmt.

Auch hier nimmt derartiges nicht viel Raum ein, doch an einer Stelle werden ähnliche Experimente an Kindern erwähnt und mit schlimmen Folgen:

"... but were forbidden to speak to them, sing, even look them in the eye. It's a very old experiment and it always failed, but they kept trying. Apparently, they were onto something, because in this case one of the children survived."

A-Story ist hier also eine Art Geheimnis, was es mit der Sprache auf sich hat, die Mutter Gracie und ihren Sohn Alex verbindet. Worte, die andere kaum aussprechen können, die sie aber wie selbstverständlich benutzen. Alex spricht nur kaum englische Worte und seine Eltern sorgen sich um seinen Spracherwerb, während gleichzeitig klar wird, dass Alex keineswegs zurückgeblieben oder nicht intelligent ist. Er spricht nur einfach kaum in englischen Worten.

Gracie wendet sich hilfesuchend an ein Institut, das von vorneherein ein wenig strange ist und DNA von ihr und auch von ihrem Mann, Mal, verlangt. Mal weigert sich lange und das Institut schlägt wenig vertrauenserweckend vor, sie solle doch einfach ein Haar mit Wurzel von ihm klauen. Es wird auch in einem Nebensatz klar, dass sie das in der Vergangenheit schon so gemacht haben, sehr klasse, als sie sie darauf hinweisen, sie solle sichergehen, dass das Haar auch von Mal ist, denn "once we tested dog hair". Alles klar. Sie wenden diese Methoden also häufiger an.

Am Ende wird es recht phantastisch, was aber OK ist, denn die B-Story ist für mich sowieso eine andere, und zwar Gracie und ihre Art und Weise, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren bzw. ihrer Unfähigkeit, die zu tun, und gleichzeitig ihrem Talent, vieles mitzubekommen durch andere Kanäle als einfach nur Sprache.

Für mich ist das der Schlüssel-Paragraph:

"She thought of the way her heart hurt when Alex wept. How she knew Mal was frustrated because of the way the air crackled. How she knew he'd had a good day at work, that he was hungry."

 

Auch wenn ich Between Zero and One there is infinfity von Shari Paul nicht ganz zu Ende geschafft habe, muss ich doch die Idee einmal laut bewundern. Es geht um Nil. Nil ist keine KI. Sie war ein siebenjähriges Kind aus "Olympus Mons, the Martian Territories", sie ist gestorben und vorher wurde ihr Verstand heruntergeladen - und nun wurde ebenjener Verstand in einen neuen Körper geladen und sie wird ausgefragt.  

Artikel und Interviews

Ein Science-Artikel, Navigating the Storm of the Mind von Douglas F. Dluzen 

und zwei Interviews: Celebrating the Diversity of Chinese Culture: A Conversation wiht Yueting Christine Ni und Explicit Queerness: A Conversation with Charlie Jane Anders. Alles klar. Ich muss die Autorin dringend nachholen! Ich denke, ich werde ihre Short Storys zuerst lesen. (Even greater mistakes)

Wie bin ich zu dem Magazin gekommen?

Ich habe in der aktuellen Locus davon gelesen und einige Rezensionen haben mich so überzeugt, dass ich mir die jetzige Ausgabe gekauft habe. Fazit: Alles klar. Abonniert.

 

Deutschsprachige SF-Kurzprosa lese ich ja sowieso sehr intensiv und nun habe ich mir überlegt, zumindest in Auszügen auch zu schauen, was international so los ist. Außer Englisch kann ich nichts, also bin ich auf Übersetzungen angewiesen, sofern es in anderen Sprachen als Englisch veröffentlicht wurde.  

Alle enthaltenden Geschichten

  • Mom Heart von Wil McIntosh
  • Dark Waters Still Flow von Alice Towey
  • This Stitch, This Time von Anna Martino
  • City of Eternity von Pan Haitian
  • The Language Birds Speakd von Rebecca Campbell
  • Between Zero and One there is infinfity von Shari Paul
  • The Death Haiku of the Azure Five bei L Chan

Diversität

In "Mom Heart" ist eine der beiden Töchter autistisch, das mir sehr realistisch und einfühlsam dargestellt zu sein scheint. Außerdem thematisiert diese Geschichte Depressionen.

Harte Fakten

Titel Clarkesworld Magazine Issue 182 
Erscheinungsjahr November 2021 
Seitenzahl 201 
Anzahl Geschichten 7 Kurzgeschichten und 3 andere Artikel
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1486937917209645061 
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