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Vernetzt von Marianne Labisch

Inhalt

Da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, muss ich diesen Beitrag als Werbung kennzeichnen.

Und nein, ich lese sonst fast nie Krimis! Höchstens Agatha Christie. Diesen Krimi lese ich, weil ich die Autorin sonst aus meinem derzeitigen Lieblings-Genre kenne: der SF.

 

Ein Save-the-cat-Moment, ab dem ich mit der Hauptfigur mitfiebere, kommt sehr früh, auf Seite 2. Susanne "Sue" Blumberg, die Protagonistin, ist Autorin und steht kurz vor einer wichtigen Lesung. Sie sperrt sich versehentlich ins Klo ein (oder jemand sperrt sie ein, jedenfalls kommt sie nicht mehr heraus). Als sie sich die Schlagzeile dazu vom nächsten Tag vorstellt, falls sie es nicht auf die Bühne schafft, bin ich mit ihr befreundet und bleibe es, bis sie sich aus dem Showdown schält.

 

Wer die Hintergründe des Romans kennt, hat mehr Spaß. Denn die Autorin Marianne Labisch hat den Roman "Vernetzt" im Dezember tatsächlich kapitelweise auf Webseiten anderer Leute versteckt (u. a. auch ein Kapitel auf meiner Webseite), ganz ähnlich wie die Autorin Sue in dem Roman IHREN Roman. Natürlich können die Leser:innen auch Sues Roman einfach kaufen, sie können aber auch stattdessen die Kapitel von Webseiten zusammentragen und in ihr Ebook einfügen, nur dass sie dafür Zeit aufwenden müssen und auch Fragen richtig beantworten usw.. Im Roman macht das aber vielen Personen sehr viel Spaß, vermutlich ähnlich, wie die "echte" Adventskalender-Aktion von Marianne im Dezember 2021. 

 

Ich persönlich bin aber ganz dankbar, jetzt einfach ein vollständiges Ebook erhalten zu haben und nicht noch suchen muss, das finde ich dann doch bequemer. 

 

Um die Aktion der versteckten Ebook-Kapitel geht es dann auch recht schnell nach dem Anfang:  Jemand - zunächst ein namenloser Ich-Erzähler - braucht zu lange, das nächste Kapitel auf einer Webseite zu finden und ist not amused. Er beginnt, wütende Emails an die verantwortliche Person, Bernd Schwarze (bzw. Schulze) zu schreiben. Bernd ist aber unterwegs und offline. Bis er die Sprachnachrichten und Emails liest, überschlägt sich jener "Fan" schon vor wütenden Drohungen. Bernd reagiert auf recht störrisch. Er möchte sich nicht erpressen lassen, nicht einmal, als seine Tochter mit einbezogen wird. Zunächst wird er von dem "Fan" gestalkt, sein Computer und seine Webcam gehackt. Doch bald kommt es zu einem massiven tätlichen Übergriff. Das war dann auch zunächst mal plotmäßig etwas zu viel für mich, denn von dem recht unterhaltsamen "Ich bombardiere den Rechner mit Sudokus" zu "Ich fahre hin und bedrohe ihn mit einer Waffe" war doch ein recht großer Schritt, der erst im Nachhinein verstehbar wird, sobald ich mehr über diese Figur erfahren habe.

 

Der "Fan" hat seine eigenen Kapitel, aus seiner Perspektive. Diese sind die einzigen, die in der Ich-Perspektive verfasst sind, was hervorragend dafür geeignet ist, seine Identität zu verschleiern und uns auch am wachsenden Wahnsinn teilnehmen lässt.

 

In der Mitte des Buchs war ich unsicher, ob ich diesen Wahnsinn wirklich so ernst nehmen sollte und der Roman nicht einfach nur Spaß machen sollte und einige aus Krimis und Thrillern bekannte Tropes absichtlich etwas überzeichnet. Das lag vor allem daran, dass eben das Motiv dieser Wut und der schon recht krassen Eskalation mir zeitweise etwas übertrieben vorkam (siehe auch oben). Als ich jedoch mehr über diese Ich-Person erfahre, kam es mir doch eher wieder wie ein ernst zu nehmender Thriller vor, inklusive des Rätseln, um wen es sich wohl bei dem "Fan" handeln mag. Es gab meines Erachtens zwei Verdächtige hierfür, auch wenn ich andere Lösungen zwischendurch in Betracht gezogen habe. Die Identität klärt sich weit vor dem Showdown auf. A propos Showdown: Der war doch beachtlich und bot auch den (zum Teil herrlich gezeichneten) Nebenfiguren viel Raum zum Agieren. 

 

Das ist keine One-Woman-Show mit Sue, auch wenn diese eindeutig die Hauptperson ist, der gesamte Cast durfte in diesem Roman die Bühne bewohnen. 

Romanfiguren

Die Figuren sind es, die diesen Roman für mich tragen. Selbst Figuren mit nur wenigen Szenen erhalten ein Gesicht, einen Hintergrund, und vor allem: Ihre eigene Stimme. 

Der Plot hat mich nicht durchgängig komplett mitgenommen (siehe oben), die Figurenzeichnung habe ich mehr genossen.

 

Zunächst einmal Sue selber, die zunächst glücklich über den Erfolg ist, dann aber recht bald recht krasse Probleme. Die Krimi-Autorin befindet sich also dann selber in einem Krimi und muss Rätsel raten und um ihr Leben fürchten.

Besonders gelungen fand ich die Wendung, dass durch die krassen Dinge, die geschehen, die Verkaufszahlen angeheizt werden und die Polizei sie dadurch zwischenzeitlich verdächtig, selber etwas damit zu tun zu haben.

 

Alex Warmbier, ihr hilfsbereiter Nachbar. Er darf auf ihre Wohnung aufpassen, wenn sie weg ist, für einen dauerhaften Zweitschlüssel vertraut sie ihm dann doch nicht genug. Sie glaubt außerdem, dass er mehr von ihr will, doch sie hat kein Interesse. Immerhin eignet er sich beispielsweise als Vorfilter für Rezensionen, was ich ganz charmant fand - man muss wirklich nicht jede Rezension lesen.

 

Bernd, der offenbar das Kapitel zu gut versteckt hat bzw. die Ermittlung des Passworts zu schwierig gestaltet hat, erhält einige nette Details, wie zum Beispiel seine Vorliebe für Sudokus. Auch gelungen fand ich seine Perry-Rhodan-Sammlung, vor allem wenn man bedenkt, dass die Autorin ja eigentlich aus der SF-Szene kommt.

 

Und dann noch der neue Nachbar, die Freundin Chris - es tummeln sich gut unterscheidbare Figuren auf den Seiten, die teilweise am Ende auch etwas an Bedeutung zulegen.

Sprache und Art des Erzählens

Solide und klar erzählt, mit klarem Plus bei Dialogen und einigen sehr plastisch geschilderten Szenen (manchmal zu plastisch).

 

Die Waage zwischen Innensicht der Perspektivperson und der Außensicht fand ich außerdem gelungen. In weiten Teilen ist das Erzähltempo eher rasant, lässt aber den Personen doch Raum für eine Reflektion der Ereignisse, und seien es nur Schlaglichter, die oftmals gut nachzuvollziehen sind. Besonders gelungen fand ich hier beispielsweise, wie Sue sich fühlt und wie sie reagiert, als sie feststellt, dass der unbekannte Stalker auf ihrem Bett gelegen hat. 

Besondere Textstellen

Heftig, mir ein wenig zu heftig, war die Stelle mit den Meerschweinchen. Es mag seltsam erscheinen, dass mir Gewalt gegen frisch geborene Meerschweinchen besonders übel im Magen liegt, obwohl in dem Roman durchaus auch Gewalt bis hin zu Mord gegen Menschen ein Thema ist. Trotzdem, das hat mich gewaltig mitgenommen. 

 

Schön fand ich die Ausflüge in Online-Foren, das passt auch sehr gut in den Plot hinein.

Rezeption

Bei A. gibt es noch nicht viele Worte, nur Bewertungen. Der Roman ist auch erst im Dezember erschienen.

 

Eine sehr ausführliche Rezension findet sich bei Robots und Dragons. Dort werden auch einige Details besprochen, die ich in meiner Rezension hier gar nicht berücksichtige und die unterschiedlichen Ebenen werden sehr genau auseinandergehalten (Realität, Roman, der Roman im Roman). Mir kommt es so vor, als sei der Rezensent ein versierter Thriller-Kenner. Immerhin Thomas Harris habe ich auch gelesen.

Das Thriller-Genre

Wäre es Science Fiction, würde ich mich ggf. fragen, ob es dem Genre etwas neues oder frisches hinzufügt. Mit Thrillern kenne ich mich deutlich weniger gut aus und lese sie auch fast gar nicht mehr. Früher habe ich gern Thomas Harris, Mary Higgins Clark, Tess Gerritsen und Cody McFadyen gelesen.  Das ist aber Jahre her.

 

Wenn ich heute Thriller lese, speziell welche mit Psychopathen, habe ich stets den Eindruck, dass sich die Plots immer wiederholen und mir nichts Neues, sondern immer nur mehr von demselben geben. Außerdem scheinen Thriller sich heutzutage auch immer mehr ans Brutalität und detaillierten Gewaltbeschreibungen überbieten zu wollen - wie ja auch Thriller-Autor Andreas Gruber in einem Podcast berichtet, den ich letztens gehört habe.

 

Diesbezüglich fand ich diesen Thriller eben doch erfrischend. Anfänglich kam es mir keineswegs wie ein Thriller vor und es gibt auch einiges an Humor darin (siehe die Cyber-Attacke mit Sudokus). Er wiederholt nicht die gängigen Plots - jedenfalls größtenteils nicht. Ja, es gibt einen Psychopathen, allerdings ist die Teilhabe an seiner Sicht zunächst ungewöhnlich, zunächst halte ich ihn nur für einen Online-Spinner, der ein wenig stänkern möchte und in die Richtung "Mir geht es um's Prinzip" geht. Dass es ernster ist und auch eine Vorgeschichte hat, wird erst später klar. Ja, der Showdown geht wieder eine typischere Thriller-Richtung.

Die Gewaltszenen halten sich in Grenzen, wofür ich dankbar bin.

 

Zwischendurch hatte ich aufgrund des Humors und einiger recht überzogener Ideen im ersten Drittel das Gefühl, dass das Thriller-Genre hier etwas hochgenommen werden sollte. Doch dafür wurde es dann doch zu ernst, als die Vorgeschichte zur Geltung kommt (die Vorgeschichte wurde übrigens auch gut vorbereitet, kam mir planvoll vor). Da wusste ich zwischendurch nicht, wie ich den Roman lesen sollte - als lockere Komödie oder als ernsthaften Beitrag zum Genre. In der Gesamtheit ist es doch eher ein Beitrag zum Genre, dann passen für mich einige Szenen aus dem ersten Drittel für mich nicht so ganz dazu. So ganz geschluckt habe ich einige Entwicklungen zu Beginn auch nicht so recht, später wurde der Plot dann überzeugender.

 

Letztendlich sehe ich die Stärke des Romans eher weniger im Beitrag zum Thriller-Genre, sondern deutlich in der Zeichnung der Figuren und auch (was hier eher die B-Story ist) der Schilderung und Bedeutung von Freundschaft. Das fand ich auch, vor allem zum Ende hin, sehr angenehm und lebensbejahend mit einer Botschaft, zu der ich nur heftig nicken kann.

Besonders sympathisch war mir Sues Sicht auf ihre Mitmenschen, selbst in üblen Situationen schafft sie es noch, die Gesamtheit, die Ambivalenz zu sehen und nicht nur das (sehr gut erkennbare) Böse in dem Menschen. Das lässt sie dann zu einer Figur werden, die endgültig in Erinnerung bleibt.

Persönliches Fazit

Ich hoffe, die Autorin steckt in ihrem nächsten Romanprojekt wieder genauso viel Mühe in die Figuren. Auch B-Story und Prämisse haben mich mitgenommen. Ein Krimi oder Thriller muss es für mich hingegen nicht unbedingt sein. SF wäre natürlich toll, Mundane Fiction ohne Krimi-Elemente wäre auch ok. 

Über die Autor:in

Bisher kann ich nur Kurzgeschichten, das ist meines Wissens ihr erster Roman. 

Witzig ist, dass die Autorin diesen Roman auch kapitelweise in einer Adventskalenderaktion bereit gestellt hatte - ich hatte auch ein Kapitel auf meinen Blog gestellt. Gut, dass es bei dem "echten" Roman nicht auch zu so einer Eskalation gekommen ist!

Diversität

Hier spielen nicht die schlanken, schönen und jungen die Hauptrolle. Sue ist jenseits der fünfzig und Witwe. Ihre Freundin Chris leidet unter Übergewicht. Hier tummeln sich eher Menschen aus der Nachbarschaft und nicht von Plakatwänden gebeamt worden sind.

Den Figuren bin ich (u. a. deswegen) gern gefolgt. 

Harte Fakten

Titel Vernetzt 
geschrieben von Marianne Labisch 
Verlag p,machinery 
Rezensionsexemplar ja, danke dafür 
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 256 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1483668162289807361 
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