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Dahinter Anthologie herausgegeben von Magret Kindermann

Inhalt

Eine Anthologie mit sieben Geschichten. Mit dabei sind:

Diese Anthologie ist Teil einer Trilogie, quasi der Mittelteil. Bereits erschienen (und auch rezensiert) ist "damit". Der letzte Teil "darum" (zum Thema Sex) erscheint in Kürze.

 

Das Vorwort ist übrigens auch online zu finden. Und - auch für Kurzentschlossene, das Ebook gibt es für 99 Cent ihr-wisst-schon-wo und den Kindle gibt es auch als App fürs Handy, das lässt sich auch angenehm lesen. Wer A. boykottiert, Thalia hat es beispielsweise auch, gleicher Preis (und die Tolino-App ist auch cool). Die 99-Cents-Aktion gilt nur für die ersten zwei Wochen, danach kommt der reguläre Preis zum Tragen.

 

Während bei "damit" Slice of Life das Thema war, hieß es hier in der Ausschreibung, dass die Geschichte eine versteckte Bedeutung haben soll. Ich hatte damals eine Geschichte eingereicht, von der ich glaubte und hoffte, dass sie diese Anforderung erfüllt und hatte mutig auch noch einige Hinweise entfernt - es hat geklappt. Die Story hat einiges an Lokalkolorit vor allem für Leute aus dem Emsland: Sie spielt auf der Sögeler Kirmes, Werlte und die Kneipe "Conni" werden erwähnt. Spezi habe ich "Cola Korn" genannt, da sonst niemand außerhalb des Emslands verstehen wird, worum es geht.

 

In den Geschichten verbirgt also mehr als nur ein Thema - und das ist versteckt. Oft spüre ich beim Lesen, dass ganze Welten dahinter liegen, viel Leben vor diesem Moment und noch einiges danach. Vieles lässt mehr als eine Deutung zu, vieles ist versteckt und zeigt sich oft nur beim zweiten Lesen - herrlich für Leser:innen, die  subtile Hinweise schätzen.

 

Zwei Geschichten möchte ich etwas ausführlicher rezensieren: Die von Nora, weil sie wirklich heftig ist und eine krasse Pointe bietet, außerdem einige Evergreen-Themen und ein aktuelles (Corona).

Die von Tino, weil sie meiner Meinung nach mehr als zwei Ebenen hat und außerdem insgesamt dann doch positiv und lebensbejahend ist. Zudem lässt sie mehr als eine Deutung zu, was mir beim zweiten Lesen besonderen Spaß gemacht hat.

 

Nora Burgard-Arp: Er sagte "Komm mit"

Stilistisch einfach toll. Ich hätte beim zweiten Lesen am liebsten fast den gesamten Text markiert.

Hier gibt es ein Ehepaar, das siebzig Jahre miteinander verbracht hat. Sie haben gemeinsam fünf Kinder, zwölf Enkelkinder und drei Urenkelkinder. 

Die Geschichte spielt zu Zeiten von Corona, und das setzt vor allem dem Mann sehr zu.  Denn:

"Er ist es gewohnt, alles zu verstehen. Er ist es gewohnt, alles zu erklären. Er ist derjenige, der Vorträge hält. Er ist der, zu dem alle kommen, wenn sie Rat brauchen.

[ ... ] Er versucht, das, was er vorhin in den Nachrichten gehört hat, festzuhalten. Doch die Informationen fließen durch ihn durch und er schafft es nicht, nach ihnen zu greifen und sie aus der Nähe anzuschauen. Das macht ihm Angst. Aber er weiß nicht, dass es Angst ist, was er fühlt."

Schön auch, wie hier das Gesagte neben dem Ungesagten steht. Für alles, was hier ausformuliert ist, gibt es immer eine ganze Welt von ungesagten, aber erlebten Dingen. Da stecken siebzig Jahre Ehe, jeweils fast neunzig Jahre gelebtes Leben hinter den beiden Figuren. So viel Welt, so viel, was passiert ist.

Die Dinge, die die Autorin herausgreift, bleiben aus zwei Gründen hängen: Entweder, weil sie sehr bekannt sind und wir Lesenden das aus dem eigenen Familien- oder Bekanntenkreis kennen.

Oder, weil sie bemerkenswert krass sind, wie das heimliche Eis-Essen in der Nacht, weil der Mann seine Frau auf Diät gesetzt hat. Oder dass er sie eine Erbschaft ausschlagen lässt und sie folgt seinem Wunsch, obwohl ihr seine wahren Gründe dafür klar sind und sie uns dies auch wissen lässt. 

Es wimmelt von Sprüchen, die wir alle zu Genüge kennen, wie, dass "aus den Kindern etwas geworden ist". Manches sitzt eben hier wie ein alter, vertrauter Schuh. Anderes ist fremdartig und schrecklich, aber eben authentisch und nachvollziehbar geschildert.

Die A-Story? Ein Mann stirbt und seine Frau als Erwachsene war noch nie ohne ihn.

Die B-Story? Ist böse, sehr böse. Würde spoilern. Schwer zu ertragender Schluss. Aber so toll erzählt, dass ich es ein zweites Mal gelesen habe.

 

Tino Falke: NPC

Nach der eher schweren Kost dann etwas, das leichter zu schlucken ist. NPC, das steht für "Non-Player-Character" und das sind die hauptsächlichen Synchronarbeiten der Ich-Erzählerin, der es leider nur fast gelungen, ist, Stammsprecherin für eine vielversprechende Newcomerin zu werden (denn die Newcomerin ist jetzt auf spektakuläre Art und Weise tot). 

Der Running Gag hier das das Wählen von Optionen, A oder B, den die Ich-Erzählerin aus den Spielen kennt, die sie synchronisiert und humorvoll in ihr Leben einbaut. Und das, obwohl sie an sich nicht viel zu lachen hat, zumindest zu Beginn der Geschichte nicht. Mit ihren Schulfreund:innen, G, J und R kann sie nicht mehr viel anfangen. Obwohl sie es durchaus versucht. Das Band, das zu Schulzeiten bestand, ist einfach nicht mehr da.

Dabei ist sie einsam, alleine. Toll und irgendwie eben trotz der Tragik witzig, folgende Passage:

"Und ich rufe regelmäßig Sätze ohne Empfänger in meine leere Wohnung, wenn der Pizzabote an der Tür steht, damit er nicht glaubt, die Bestellung in seinen Händen wäre für mich allein."

Es ist Platz für viele sehr direkte und offene Gedanken der Ich-Erzählerin, alle so erfrischend und ehrlich, dass ich ihr gern noch ein paar hundert weitere Seiten gefolgt wäre.

Und dann dieser Jargon, den man aus Online-Foren für Kinderkram kennt: KiA, Bauchzwerg, Zauberkugel, Hebi und MuMi. Da schüttelt es mich in nicht allzu freudiger Erinnerung. 

Und wieso wird eigentlich die Protagonistin ständig übersehen oder mit falschem Namen angesprochen? Frustrierend, aber sie ist dabei so nett, so geduldig. Und auf den Fotos sind auch immer nur Teile von ihr zu sehen. Ich stehe auf diese Details.

Der Showdown ist sicher nicht nur für auditive Menschen wie mich einfach herrlich. Sie trifft die Menschen hinter den ihr wohl bekannten Stimmen, und sie klopfen Sprüche und haben Spaß. Das kann der Beginn von etwas sein, etwas sehr coolem. Sehr lebensbejahend. Eine Story, die glücklich macht. Eine Geschichte über das Gesehen-werden, oder, passender zum Thema: zum Gehört-werden.

A-Story: Die alten Freund:innen sehen die Ich-Erzählerin nicht mehr, der Wert der alten Freundschaft ist weg. Sie wird zunächst überall übersehen oder zumindest nicht wirklich gesehen.

B-Story: Doch eher Mehrzahl. Neue Gleichgesinnte finden. Sich von alten Freundschaften lösen, wenn sie nichts mehr geben. Mut, alleine irgendwo hinzugehen, vielleicht geht man ja nicht alleine wieder von dort weg. Die Bedeutung der Dinge erst einmal selber erfassen. Das eigene Leben, den Job, mit Humor sehen. Einsamkeit überwinden. Beginnen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Ich habe viel gefunden. Vermutlich finde ich beim dritten Mal noch mehr.   

Wie bin ich zu dem Buch gekommen?

Ich bin selber dabei und habe das Buch sogar als Print hier. Sieht sehr schick aus. Gelesen habe ich trotzdem lieber das Ebook, auch schon vorab, und jetzt erneut für die Rezension.

 

Übrigens wird die Trilogie eine Fortsetzung haben, die Ausschreibung kommt bald.

Harte Fakten

Titel dahinter - Anthologie 
geschrieben von Jennifer Pfalzgraf, Nora Burgard, June Is, Yvonne Tunnat, Liv Modes, Tino Falke, S. M. Gruber 
herausgegeben von  Magret Kindermann
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 85 
Anzahl Geschichten
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1480824942862258177 
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Kommentare: 2
  • #1

    Axel Aldenhoven (Dienstag, 11 Januar 2022 10:22)

    Aaaahhh. Ich brauch bald ne Leiter für meinen SUB. Aber 85 Seiten? Na dann ab auf den Stapel :-)

  • #2

    Yvonne (Dienstag, 11 Januar 2022 11:20)

    Letztens sagte auch jemand: "ZuB" Zimmer der ungelesenen Bücher ...