Inhalt
Die Heldin hat mich auf Seite 3 auf meiner Seite, als sie das Opfer eines authentisch geschilderten Mansplaining wird. Da erklärt jemand der Hauptfigur Ilka ihr eigenes Raumschiff. Alles klar. Wie Ilka damit umgeht und die perfekte Balance zwischen genervter Innensicht und ruhig bleibender Außenreaktion. Alles klar. Nun habe ich Lust, Ilka zu folgen.
Und das mache ich tatsächlich sogar zum zweiten Mal, denn den Roman habe ich im Winter 2020 schon mal testgelesen. Schon damals war kein Plothole zu finden. Es passiert einfach die ganze Zeit etwas - so dass ich die ersten sechzig Seiten schon nach einem Abend erledigt habe, ohne wirklich zu merken, was ich mache.
Zum Inhalt:
Ilka erhält den Auftrag, Sally Gray zurück zu ihrem mächtigen Vater zu bringen. Sie erhofft sich, nach der erfolgreichen Erledigung dieses Auftrags endlich in die Gilde aufgenommen zu werden. Plot und Ziel sind sehr klar - aber natürlich ist Sally keine sehr einfache Gefangene und Ilka gerät mehrmals hintereinander in ernsthafte Probleme. Obwohl sie als sehr taff und auch mächtig geschildert wird, wird es mehrfach sehr knapp. Der Plottwist am Schluss ist super. Schließt den Roman perfekt ab und macht trotzdem neugierig darauf, wie es weitergeht.
Romanfiguren
Ilka wird recht schnell sympathisch durch die Probleme, die sie lösen muss. Sie bleibt aber bis zum Ende ein wenig distanziert. Fast wie Roland DeChain aus "der dunkle Turm" und das passt auch ganz gut zum Western-Genre.
Ich bin auf Ilkas Seite, nachdem ein Mann ihr über ihr Raumschiff mansplaint. Sie denkt: "Erklär mir jetzt nicht, was die XENA Rex alles kann, als würde ich mich nicht auskennen." (siehe auch oben)
Später erfahren wir mehr über Ilka, beispielsweise, wie lange sie schon lebt (ca. dreihundert Jahre) und dass sie früher Leutnantex beim Militär war. Außerdem ist sie ziemlich vernarbt, auch auf der Stirn und am Übergang zwischen Kinn und Hals.
Als Vampiry muss sie natürlich regelmäßig Blut trinken. Konserven gehen auch. Tiere auch. Nahrungsbeschaffung stellt stellenweise trotzdem ein ernstes Problem dar.
Sally wird ebenfalls gut und mehrschichtig charakterisiert - Ilka hält sie für eine verwöhnte Göre und dieses Klischee durchbricht Sally rasch. Es kommt allerdings auch noch zu Plottwists, vor allem zum Ende hin, die ich absolut nicht vorhergesehen habe. Daher machte ein zweites Lesen auch Spaß, ich war auf der Hut und habe nach Hinweisen gesucht - und sie natürlich auch gefunden, weil ich wusste, wonach ich suchen musste.
Tolle Wendungen
Ohne zu spoilern - der Autorin gelingt es, unerwartete Plottwists subtil anzudeuten, so dass ich sie erst beim zweiten Lesen als solche identifiziere. Das macht einfach großen Spaß. So kann man auch das Lese-Erlebnis zusammenfassen: Es macht einfach Spaß.
Weltenbau
Der Weltenbau erschließt sich indirekt, durch Handlung, sorgsam eingestreute Gedanken und Dialoge. Nach und nach erschließt sich eine komplexe Welt, von der wir genauso viel erfahren, wie wir müssen - und eben nicht mehr.
Es gibt hier nicht nur Menschen, es gibt eine Union, eine Gilde und massenhaft Planeten. Die Möglichkeit, rasch von A nach B im Universum zu kommen, wird auch gut geschildert (es gibt mehr als eine Möglichkeit). Fügt sich sehr gut in den Kanon ein, finde ich.
Einige Außerirdische wie die Eddoxi und die Marali wollten sich beispielsweise nicht von den Menschen kolonisieren lassen. Man merkt, dass die Autorin die letzten paar Jahrhunderte Geschichte der Welt kennt, aber sie schafft es tatsächlich, das Wissen für sich zu behalten, wenn es für die Handlung irrelevant ist und bewirft uns Lesende nicht mit Infodump. Danke dafür.
Auch die Kombination von Vampiry mit Nanobots finde ich interessant. So wird der SF-Hintergrund trotz der vampirischen Personen sehr deutlich. Es ist kein Crossover, es ist reine SF.
Stärken und Schwächen der Vampiry kommen gut zur Geltung. So heilen beispielsweise Ilkas Schusswunden recht rasch, aber leider stecken die Kugeln dabei noch in ihrem Körper, was sie früher oder später beheben werden muss.
Humor
Ilka ist eher so die wortkarge, ernste Person. Sally hingegen zeigt Humor. Beispielsweise fragt sie Ilka an einer Stelle: "Kann ich erst eintreten, wenn du mich reingebeten hast?" Hier wird schön mit den Klischees gespielt.
Sprache und Art des Erzählens
Obwohl der Roman im Selbstverlag erschienen ist, hat er ein professionelles Lektorat erfahren. Ich finde ihn angenehm zu lesen. Sprachlich mag er nicht herausstechen, aber die Beschreibung einiger Details und außerdem auch einige Ideen zu Vergleichen und Metaphern haben mich beim Lesen gefreut und manchmal sogar begeistert.
Hier ein Beispiel. Es gab Probleme während des Tankvorgangs und Ilka musste mittendrin überstürzt losfliegen. Der letzte Satz der Szene:
"Der Treibstoffschlauch hing noch immer an der Tanköffnung und flatterte umher, als wolle er diejenigen verhöhnen, die am Boden zurückgeblieben waren."
Buchaussage
Die A-Story ist schnell klar: Ilka muss ihren Auftrag erfüllen und ihre "Ware" Sally unversehrt bei ihrem Vater abliefern. Der gut erledigte Auftrag hilft ihr dabei, ihr eigentliches und großes Ziel zu erreichen: Endlich der Gilde beitreten.
Die B-Story ist nicht hundertprozentig klar, vermute ich, aber für mich war es die Entwicklung von Ilka. Anfänglich möchte sie alles alleine schaffen und können und behandelt auch Sally wie unnötigen Ballast (und sagt ihr das auch mehr als einmal sehr deutlich). Ihre Sichtweise verändert sich im Laufe des Romans und sie begreift Sally als eigenständigen, zu schützenden Menschen und beschließt, ihr zu helfen. So weit, so normal, wäre der Plottwist am Ende nicht (und nein, ich will nicht spoilern). Da auch die Prämisse an der Auflösung hängt, formuliere ich an dieser Stelle keine.
Wie bin ich zu dem Buch gekommen?
Es ist SF, es ist deutschsprachig und von 2021 - ich lese davon so viel wie möglich, da ich in der DSFP Jury bin und mittlerweile auch für den Kurd-Laßwitz-Preis nominieren darf.
Aber ursprünglich hatte ich mich mal zum Testlesen angeboten, da ich die Autorin (damals nur flüchtig, inzwischen etwas besser) via twitter kenne.
Rezeption
Bin ich die erste? Bin ich die erste?
Google findet nichts, nur Ralf, der den Roman unter den Neuerscheinungen gelistet hat.
Über die Autor:in
Eine Kurzgeschichte von V. A. Kramer erscheint in der nächsten Ausgabe des Weltenportals. Eine andere ist online zu finden.
Diversität
Alleine, dass die Figuren fast alle weiblich sind, ist ja schon cool. Um Sex geht es nicht. Ilka ist als Vampiry eine Art Außenseiterin und hat auch mit massig Vorurteilen zu kämpfen (nun ja, es sind nicht alles Vorurteile, sie ernährt sich ja nun einmal von Blut ...).
Ilka wir ganz zu Anfang als dunkelhäutig und mit schwarzem Haar beschrieben. Außerdem ist sie vernarbt - sie ist definitiv nicht der Typ Supermodell.
Auf Vampiry wird in dieser Welt teilweise herabgeschaut und sie werden beschimpft, diese Erfahrung muss auch Ilka regelmäßig machen.
Das generische Maskulinum wird vermieden, so heißt es: Vampiry, Piratae und Leutnantex. Das ist so gut in den Rest angepasst, dass kreativ wirkt und nicht den Lesefluss stört.
Harte Fakten
Titel | Ilka McCree: Tochter aus blutigem Hause |
geschrieben von | V. A. Kramer |
Rezensionsexemplar | Freiexemplar für die DSFP Jury |
Erscheinungsjahr | 2021 |
Seitenzahl | 290 |
Original Twitter Tweet | https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1480520466720858112 |
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