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In letzter Zeit war ich Beobachterin einiger Diskussionen in der Szene, ob man eigentlich die Prosa und die (politische, soziologische, religiöse etc.) Einstellung der/des Autor:in trennen kann. Prominentes Beispiel der Diskussion war Lovecraft.
Was auch immer man von Lovecrafts Prosa und seinen damaligen Einstellungen halten mag - N. K. Jemisins Haltung kommt in dieser Novelle ganz klar rüber. Plus, sie unterscheidet sich von Lovecraft und anderen seiner Art ganz entscheidend.
Ein Stoß reicher, weißer Männer haben die Erde verlassen, um woanders neu anzufangen. Mit begrenzter Bevölkerung, alle Mitglieder nützlich und produktiv. Allerdings handelt es sich dort keineswegs um eine Gesellschaft, in der alle gleich sind, im Gegenteil. Nur die Elite hat eine Haut (eine weiße Haut übrigens), die große Masse hat lediglich eine künstliche Haut, die sich aber im Notfall in richtige Haut umwandeln kann (siehe Titel der Story).
Allerdings ist es ab und zu notwendig, Ressourcen von der alten Erde (die Weggezogenen nennen sie "Tellus") zu besorgen und der Protagonist erhält diesen Auftrag und macht sich auf dem Weg zur Erde. Er hat die Gemeinschafts-KI im Kopf, die permanent auf ihn einredet und auch auf mich als Leserin, denn diese KI ist auch die Wir-Erzählerin der Story. Das macht Spaß zu lesen, auch wenn es etwas ungewohnt ist, weil die KI ja in der "Du-Form" mit dem Protagonisten spricht. Die Stimme des Protagonisten hören wir auch nicht. Was er sagt, wird nicht wiederholt, nur in Antworten darauf Bezug genommen (manchmal paraphrasiert die KI aber auch das Gesagte, was vielleicht etwas plump wirken könnte, aber zum Charakter dieser KI auch irgendwie passt).
Da damals beim Exodus die zu alten, zu jungen, zu kranken und sonstige angeblich nutzlose Leute auf der Erde zurückgelassen wurden, die außerdem von schmelzenden Polkappen und sonstigen Problemen überwältigt war, war man sich eigentlich sicher, die Erde ausgestorben zu finden.
Umso größer ist die Überraschung, als KI und Protagonist feststellen, dass es durchaus Leben gibt - und die Menschheit sich weiterentwickelt hat. Nicht nur technisch, sondern auch sozial. Wenn ich je eine Utopie gelesen habe, dann ist es diese hier. Konflikt gibt es trotzdem genug, denn die KI ist so gar nicht einverstanden mit dem, was sie hier sehen muss. In der Welt der Weggezogenen gibt es keine Behinderten, nicht einmal Frauen, und auch keine Menschen mit schwarzer Haut. Erst recht würden sie dort niemals jemanden durchfüttern, der nicht (mehr) arbeiten kann.
Alle Fragen werden hier beantwortet - die Botschaft mag plakativ sein (das scheint zurzeit mein Lieblingswort zu sein), aber sie wird gut verkauft. Menschen, die den Kapitalismus lieben, werden diese Geschichte möglicherweise nicht mögen. Wer aber Dingen wie dem bedingungsloses Grundeinkommen, Teilhabe für alle, Zusammenhalt über Ländergrenzen hinweg usw. aufgeschlossen gegenüber steht, wird hier Spaß haben. Außerdem birgt die Story dann noch ein paar Wendungen, die ich hier mal noch zurückhalten möchte. Eine sehr detaillierte Rezension findet sich übrigens hier.
Mir hat die Geschichte gut gefallen, spielt sie doch (zumindest zum Teil) einigen meiner persönlichen Glaubenssätze in die Hände. Zwar glaube ich nicht, dass das alles genauso funktionieren würde, aber die Idee, die schlimmsten reichen weißen Herren ins All zu schießen, hat aber etwas verführerisches.
Es gibt auch ein Hörbuch (auf Englisch), ich habe aber gelesen statt gehört. Die Novelle hat sich 2020 den Hugo-Award abgeholt.
Das war mein erster Kontakt zu Jemisin und ich bin gespannt, was ich noch so finden werde.
Diversität
Das ist quasi eine Pro-Diversitäts-Prämisse, wie man sie nur haben kann. Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll.
Harte Fakten
Titel | Emergency Skin |
geschrieben von | N. K. Jemisin |
Erscheinungsjahr | 2019 |
Seitenzahl | 29 |
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