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Science Fiction Stories von Galax Acheronian

Inhalt

Wenn man von einem deutschsprachigen Autor (oder einer Autor:in) mehr lesen will, ist das manchmal nicht so einfach. Vor allem dann nicht, wenn die Kurzgeschichten und Erzählungen auf viele unterschiedliche Anthologien verteilt sind. 

Daher ist es praktisch, dass dieser Autor seine zwischen ca. 2010 und 2018 veröffentlichten Kurzgeschichten und Erzählungen zum schmalen Preis von 2,99 (Ebook) bzw. 12,99 (Taschenbuch) noch einmal gesammelt herausgebracht hat.

 

Besonders charmant sind die kurzen Hinweise zur Veröffentlichung nach dem Ende jeder dieser Stories. Wann, wo, warum? Solche Trivia liebe ich ja. 

 

Fazit für Eilige

Die Geschichten sind teilweise recht alt. Ich kenne zwei neuere Erzählungen dieses Autors und würde jederzeit zuerst die neueren Werke weiterempfehlen, besonders wenn man seine Prosa erst einmal kennenlernen möchte.

Besonders Verloren auf Firr'Dars, die für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert war, würde ich empfehlen (erschienen in "Hyper Orbis" im Verlag für moderne Phantastik - und dann bald auch in seinen Science Fiction Stories Teil 3, die in wenigen Monaten erscheint).

Aber auch in dieser Sammlung finden sich einige großartige Stories. Was der Autor offenbar schon immer konnte: Dialoge, Pointen und exotische Aliens beschreiben (plus, aus ihrer Sicht schreiben).

 

 

Enthaltende Geschichten

Ich sortiere mal danach, wie gut ich die jeweilige Story fand. Das spiegelt aber keineswegs den Geschmack der vielen anderen Leser:innen wieder, bei denen war "Worte in Gold" beispielsweise beliebter als bei mir.

  

Uriel

2010 für das Story Center von p.machinery geschrieben. Vorgabe war: "Steampunk und der Vatikan".

Die Geschichte beginnt mit dem zwölfjährigen Andrej. Dieser sitzt im Rollstuhl, ist leider alles andere als frei von Schmerzen und stets auf die Hilfe seines Großvaters angewiesen.

Sein Großvater, Silvio Cendron, ist die Hauptfigur der Geschichte. Zunächst bleibt offen, warum er es ist, der sich um Andrej kümmert. Was mit den Eltern geschehen ist und warum Andrej im Rollstuhl sitzt, wird später enthüllt. Die Namen muten recht italienisch an, was auch zum Thema der Ausschreibung passt.

Silvio ist ein interessanter Charakter, stets mit Zylinder unterwegs, (zunächst) im Dunkeln liegende Vergangenheit, die gleich neugierig auf die Auflösung macht. Außerdem begeistert mich recht bald sein Erfinder-Geist und seine Art, Probleme anzugehen.

Das Setting ist beunruhigend. Überall könnten Spitzel sein, die nur darauf warten, dass man etwas blasphemisches sagt oder tut. Das Land hat keine besonders guten Beziehungen zu anderen Ländern, Russland wird explizit erwähnt, steht aber nicht alleine da. Es gibt die Inquisition und eine kirchliche Polizei - na, wohnen will ich da nicht! Wenn man nicht rechtzeitig jemanden trifft, wird man zwangsverheiratet. Na vielen Dank auch!

Silvio war Mitarbeiter der Wissenschaftskirche, die es nicht mehr gibt. Wie man sich bereits denen kann, ist Silvio der Wissenschaft mehr zugetan als der Kirche.

Der Steampunk kommt auch nicht zu kurz. Da gibt es Dampfwagen und - vor allem - ein Dampftaxi, yeah! 

Die Kritik an der Kirche hätte ruhig ein wenig subtiler sein können. "Diese Spinner aus dem Vatikan", das ist schon recht heftig für die Welt, in der Silvio sich da befindet, auch wenn ich Verständnis für so einen Ausbruch habe.

Silvio hat einen ganz klaren Antrieb, den ich absolut nachvollziehen kann und die Handlung nimmt richtig Fahrt auf, als sich einige Herren an ihn wenden, um ihn in ihr Projekt einzubinden - nicht alle, die an dem Projekt beteiligt sind, sind Silvio unbekannt. Man beachte: Der Himmel gehört Gott. Himmelsgefährte sind Blasphemie.

Mal hier mal da gibt es coole Andeutungen. Z. B. liest Silvio das "Spiegelbild". Ein Heft, das zu lesen nicht ganz frei von Risiken ist. Worauf das wohl anspielt?

 

Neumond

Die Idee für die Story entstand schon 2007. Geschrieben dann 2009. Diese Erzählung war erste "offizielle" Veröffentlichung des Autors. In der Story-Sammlung "Das Wort".

Wie bei dem Titel nicht weiter überraschend, spielt es auf dem Mond. Es dauert ein wenig, bis die Story in Fahrt kommt, dann nimmt sie mich aber so richtig mit.

Die Geschichte spielt im Jahr 2061 - viel ist seit der Besiedlung des Mondes ab dem Jahr 2043 passiert und erbaut worden (siehe Seite 2 der Story, grins), unter anderem ist 2053 ein Krieg zwischen Russland und China ausgebrochen, die Leute auf dem Mond haben aber entschieden, sich neutral zu verhalten, ganz egal welche Nationalität sie ursprünglich mal hatten.

Hier wird eine Leiche gefunden - ein Mensch. Dieser ist aber offenbar 60.000 Jahre alt. Was ist hier los?

Das Rätsel fand ich sehr interessant, die Lösung war in Ordnung. Die Prämisse war mir zunächst etwas zu klar und plakativ, jedenfalls beim Lesen. Nachdem es eine Weile gesackt war, fand ich es dann aber wieder richtig so.

Die Botschaft kann ich eigentlich genauso unterstreichen und mir ist noch einiges aufgefallen, dass eben nicht direkt im Text stand, das ich aber dennoch herauslesen konnte. Daher trifft die Geschichte eben doch meinen Geschmack und erfüllt meine persönlichen Anforderungen sinnvoller Prosa locker. Und, was noch wichtiger ist: Sie bietet ein spannendes Rätsel mit einer gescheiten Auflösung.

  

NNT 275

2015 für die Jahresanthologie des Verlags für Moderne Phantastik

Diese Geschichte hat meinen Geschmack voll getroffen. Es gibt einen Hauch fremdartige Monster (außerirdische Tiere, die super beschrieben werden) und Mutation bei den Menschen (Homo Quant - tolle Idee!) und einen Plot, der genau den richtigen Anteil Spannung und Action bietet. 

Die Geschichte spielt übrigens im selben Universum wie "Verloren auf Firr'Dars".

 

D. A. V3

Hier wird mal wieder die Geduldige belohnt. Zwar ist die Quantität des Casts mal wieder in Richtung Tolstoi gewandert, aber Aussage und Pointe des Texts fand ich ziemlich cool. Hier werden die Robotergesetze mal gekonnt gegen den Strich gebürstet. Den Clou der Story habe ich ein paar Sätze vor dem Schluss kommen sehen, perfektes Timing.

Das Setting bietet einiges sehr lesenswertes, nicht zuletzt eine interessante Beziehung zwischen zwei Jungen, die nicht einmal derselben Spezies angehören. Einer davon ist auch noch ein Mischling von zwei unterschiedlichen Spezies und hat es deswegen besonders schwer.

Interessant auch, dass eine mehrgeschlechtliche Spezie geschildert wird (die Hadobs). Das hat mich dann doch mal wieder an Ursula K. Le Guins Worldbuilding erinnert. Warum nicht mal so richtig schön aufbrechen, was wir gewohnt sind? 

 

Der Fremde in dir

2017 entstanden, hier steht Homosexualität etwas mehr im Fokus als sonst (sonst ist es ja bei diesem Autor eher subtil).

Das Paar Andreas und Matthias wacht fünfhundert Jahre in der Zukunft auf. Ihr altes Leben haben sie zu Ende gelebt - zuerst der deutlich ältere Matthias, ein paar Jahre später Andreas. Nun sind sie gesund und auf dem Weg, aufgrund außerirdischer Gene wieder jung zu werden und eine Art Unsterblichkeit zu erlangen. Die Welt hat sich geändert - aber auch die Einstellung zueinander. Jedenfalls auf Matthias' Seite. Er will seine wiedergewonnene Jugend nicht nur an Andreas' Seite verbringen, sondern wieder um die Häuser ziehen.

Das Setting ist sehr innovativ, wenn auch selbstverständlich nicht alle Ideen neu sind. Aber viele interessante Details fließen ein, obwohl Andreas und Matthias das Zimmer eigentlich gar nicht verlassen und nur zwei anderen Menschen begegnen. Der eigentliche Konflikt liegt eher im Menschlichen.

Die Story war interessant zu lesen, auch wenn mich das Setting hier mehr fasziniert hat als der Konflikt, der mir noch etwas zu wenig subtil rübergebracht war und ich bei der Entwicklung am Ende nicht ganz mitgehe.

Angenehm ist, dass Galax extrem gute Dialoge schreibt. Lese ich sehr gern.

 

Wahrer Wert

2011 erstellt, 2017 bei p.machinery erschienen.

Laut eigener Aussage mag der Autor ja alternative Zeitlinien nicht besonders. Aber ich mag sie als Leserin und diese Story behandelt eine, die mir sehr interessant erscheint, wenn es auch erst das Ende war, das mich so richtig abgeholt hat.

  

Reboot

Diese Story ist ebenfalls von 2017.

Hier wird eine dreiköpfige Familie gezeigt. In dieser Welt kann man nicht erwünschte Erinnerungen löschen. Bei Problemen ein Backup aufspielen. Und andere, auch komplexere Kombinationen ergeben sich daraus. Da kann schon mal eine gesamte Beziehung aus dem Gedächtnis gelöscht werden.

Die Story spitzt sich ein bisschen zu sehr zu, der Schluss ist mir zu plakativ. Klar, was möglich ist, wird vielleicht irgendwann auch gemacht, aber mehrere Aspekte an der Geschichte kann ich nicht ganz einsehen. Gibt es keine Sicherheitsvorkehrungen, wer was warum löschen oder aufspielen darf? Und wieso sollte der Vater mehr Rechte haben als die Mutter? 

Vermutlich sollte ich den Plot nicht allzu ernst nehmen. Als zu Ende gedachte Konsequenz der entworfenen Welt funktioniert es allemal sehr gut.

 

Worte in Gold

Hier hätte ich gern Mut zur Lücke bewiesen, aber dann habe ich gesehen, dass es die Lieblingsstory des Autors ist. Da kommt es schon komisch, gerade die auszulassen.

Allerdings bin ich nicht die Zielgruppe. Ja, es mag SF sein, da es sich um Aliens handelt, aber es ist eine jener Stories, die sehr sehr fremdartig sind, so dass ich sie schon eher als Fantasy empfinde.

Ähnliche Probleme hatte ich aber auch schon mit mehreren SF-Romanen und Stories, der Autor ist also in guter Gesellschaft. Ich weiß und sehe ein, dass es sich um das Genre SF handelt, dennoch hat die Geschichte viele Aspekte, die mich an das Genre Fantasy erinnert und die der Grund sind, warum ich keine Fantasy lese. Ich glaube gern, dass viele Leser:innen gerade diese Story am liebsten mochten - Fantasy ist ja auch irre beliebt, viel beliebter als SF. Nur eben bei mir persönlich nicht. 

Für jene, die sich darauf einlassen, lohnt sich die irre gute Pointe. Ich habe erst fünf Sätze vor Schluss gewusst, was los ist, was die ganze Zeit schon los war. Das ist bemerkenswert und eine der Stärken dieses Autors. 

Es gibt für alle Zeitabstände extra Worte, uns bekannte Begriffe wie Tage, Jahre etc.. gibt es in dieser Welt nicht.

Am Ende gibt es ein Glossar, aber natürlich blättere ich nicht ständig und trotzdem reißt es mich jedes Mal aus dem Lesefluss, wenn wieder ein Wort kommt, das ich nicht kenne. Dafür muss ich sagen, dass die Eigennamen nicht allzu fremd sind und gut auszusprechen. Der Hintergrund der Geschöpfe ist außerdem gut durchdacht und sogar für mich als Fantasy-Verächterin faszinierend.

Die Story dreht sich um Garth und Malin. Gart ist ein "Ukrita", das heißt, ein Mischling, der nur zum Teil von den Uktrai abstammt. Das hat Vorteile - vor allem, was sein angenehmes Äußeres betrifft - aber auch Nachteile. So ist er nicht dazu in der Lage, Seide zu spinnen. Nicht nur, dass ihm das einen soliden Lebensunterhalt bieten würde, er könnte sich auch selber ständig Hängematten spinnen und mithilfe der Seidenfäden irgendwo hochklettern (ich habe gerade eine mächtige Spiderman-Assoziation). Garth ist zu Beginn der Geschichte (mal wieder) im Knast. Schön wird gezeigt, wie fremdartig er ist, was seine Fühler und seine Art zu sehen betrifft.

Stellenweise, vor allem kurz nach dem Anfang ist die Geschichte sehr erzählt und nur wenig gezeigt. Um den Hintergrund der Uktrai zu vermitteln ist das in Ordnung, aber es dauert dann doch etwas zu lang, bis es endlich losgeht.

 

Das Liebeslied

2013 in der Jubiläumsausgabe des Verlages p.machinery erschienen - ausgewählt von Michael Haitel. Diese Story spielt (wie einige andere in dieser Sammlung auch) im Weltall. Hier hatte ich Mut zur Lücke, da die Geschichte mich nicht sofort abgeholt hat, es war mir anfangs ein wenig zu technisch und die Handlung kam für mich nicht rasch genug in Gang. Das Cover ist aber sehr cool.

(Ich habe nachgeschlagen: Offenbar geht es darum, dass der Protagonist der KI seines alten Raumschiffs hinterhertrauert. Klingt ja doch ganz niedlich, vielleicht schaue ich eines Tages noch mal hinein.)

 

Ein paar Gedanken zur Erzählweise

Heutzutage ist Galax ein Profi. Szenisch, Action, kein Infodump. Natürlich hat er 2007 nicht gleich so gestartet. Da gibt es mal hier mal da (nicht bei allen Geschichten) kurz nach dem Anfang oft ein paar Passagen oder gar Seiten, in denen das Setting der Story sehr genau beschrieben wird, anstatt es geschickt in die Handlung mit einfließen zu lassen, so wie er das heutzutage macht. Manchmal kommen die Geschichten daher erst auf Seite fünf so richtig in Fahrt. Echt klingende Dialoge, richtig gute Pointen und das Hineinversetzen in Aliens, sowie das Beschreiben wirklich sehr fremder Spezies scheint er aber schon immer gut drauf gehabt zu haben.

Ich habe einige Phrasen gefunden (ich suche aber auch sehr gründlich). Das finde ich bei seinen jüngeren Geschichten auch nicht mehr.

Wenn die Kurve weiterhin so steil ist, können wir wohl noch einiges erwarten, zumal Galax ja so angenehm jung ist und noch so viele Jahrzehnte zum Schreiben Zeit hat. Ich freue mich drauf. Selbst damals schon finden sich einige Ideen, die locker mit den ganz großen mithalten können (ich lese zurzeit viele coole alte anglo-amerikanische SF-Kurzprosa).

 

  

Meine Zukunft mit diesem Autor 

Science Fiction Stories Teil 2 liegt hier bereits auf meinem SuB, Teil 3 soll es auch bald geben. Wenn ich seine Veröffentlichungsliste so sehe, freue ich mich schon drauf.

Galax Acheronian hat einen gewaltigen Output an SF-Prosa. Da müsste ich echt viele Anthologien kaufen. Daher sind die Anthologien-Zusammenstellungen für mich ganz nützlich, zumal diese auch stets als Ebook erhältlich sind, was für mich persönlich sehr praktisch ist. 

Diversität

Hier kann ich gar nicht alles vollständig abbilden. Der Autor schreibt fast grundsätzlich (auch) über Minderheiten, oftmals sind seine Figuren nicht heterosexuell und erst recht gibt es oft benachteiligte Spezies, meistens welche, die wir in unserer echten Welt gar nicht kennen.

Darüber hinaus gibt es auch weltliche Probleme: In "Uriel" beispielsweise sitzt Andrey im Rollstuhl, der Protagonist ist außerdem ein eher älterer Herr, auch nicht gerade der typische Held.

Generell gilt bei Galax: Der perfekt aussehende, able-bodied Hero im einwandfreien Alter kommt eher selten zu Wort. 

Harte Fakten

Titel Science Fiction Stories 
geschrieben von Galax Acheronian 
Erscheinungsjahr 2018 (Erstveröffentlichung der Geschichten früher)
Seitenzahl 334 
Anzahl Geschichten
Original Twitter Tweet   https://www.rezensionsnerdista.de/2021/08/10/science-fiction-stories-von-galax-acheronian/ 

 

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