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Duplik Jonas 7 von Birgit Rabisch

Inhalt

Da habe ich bei Twitter nach engen Literaturtipps gesucht: Klone, die verstorbene Kinder stark trauernder Eltern ersetzen sollen. Unter anderem war dieser Roman dabei. Da er sogar deutschsprachig ist, von einer Autorin und außerdem sehr kurz und knackig, konnte ich das mal kurz dazwischenschieben. Das Thema Klone interessiert mich gerade für einige eigene Kurzgeschichten-Ideen und da schadet es keineswegs, zu schauen, was es bereits so gibt.

 

Leider ist es bei der Kürze der Tweets immer schwer, genau das zu erhalten, was man will. Der Plot "Kind stirbt und Eltern lassen es klonen" trifft hier keineswegs zu. Es geht um etwas anderes (was mir aber auch vorab bei Twitter so mitgeteilt wurde):

 

Jonas' Eizelle wird geteilt, aus einer entsteht der Jonas, der bei seiner Familie aufwächst und ein Leben lebt, das wir kennen mit Schule, Studium, Sex usw.. Der andere, der "Duplik Jonas 7" wird von einer Leihmutter ausgetragen und kommt dann in einen Hort. In dem Hort wohnen 1040 Dupliks, alle sind männlich, vom Säuglingsalter bis circa Anfang vierzig. Sie leben in "Kleeblättern" von vier Personen zusammen. Ein Kleeblatt darf sich auch mal um einen Säugling kümmern, was im Falle von Jonas' Kleeblatt auch ganz am Anfang geschieht, zur großen Freude der jungen Männer. Mittels des Einzug des kleinen Hannes werden die vier jungen Männer des Kleeblatts auch ganz gut charakterisiert und unterschieden.

In dem Hort gibt es gesundes Essen. Sport wird mindestens drei Stunden täglich verordnet. Natürlich sind die Duplikaten Ersatzteillager für "ihre" Menschen. Der Punkt ist, die Duplikaten sind genauso alt wie ihre Menschen und wenn dann Organe gebraucht werden, ist das Herz des Spenders eben ebenfalls siebzig Jahre alt, umso mehr müssen die Duplikaten auf ihre Gesundheit achten. Krankheiten gibt es selten, nur den "Fraß", der quasi alles betreffen kann, vor allem Organe, wie die Nieren oder den Darm und nur geheilt werden kann, indem man die betroffenen Teile entnimmt. So jedenfalls wird es den Duplikaten erklärt. Grausam ist, dass man (selbstverständlich) die Duplikate so lange wie möglich am Leben hält, ggf. eben mit künstlichen Organen und an lebenserhaltenen Maschinen.

 

Neben der Ich-Perspektive des Dupliks Jonas 7, die eher eine Berichtsform hat, die uns dem Erzähler recht nahebringt, als würde er uns direkt von seinem Leben erzählen, gibt es auch Jonas' Sicht (der, der normal in der Welt als freier Mensch lebt). Diese Perspektive ist personal, in der dritten Person, auch wenn die Sicht ziemlich dicht an Jonas dran bleibt. Jonas verliert bei einem Unfall seine Augen - und ja, diese sollen daraufhin Jonas 7 entnommen werden. Doch Jonas' Schwester Ilka ist eine vegane Aktivistin, die auch gegen die Duplikaten-Haltung etwas hat. Und Jonas weiß nicht einmal, dass damals bei seiner Entstehung ein Duplik für ihn angelegt worden ist.

 

Sehr interessant finde ich die Wahl der Perspektive. Dass ausgerechnet der Duplik Jonas 7 der Ich-Erzähler ist, ist eine ausgezeichnete Wahl. Gerade ihm in seiner uns fremden Welt sollten wir nahe kommen. Letztendlich hat aber Jonas 7 deutlich weniger "Bühnenzeit" als der Mensch Jonas und obwohl zweifelsohne beide einen enormen Erkenntnisgewinn haben und eine Entwicklung durchmachen, geht mir die von Jonas (der als freier Mensch lebt) näher, ich habe auch den Eindruck, dass der Roman diese diese Figur besser durchleuchtet und begleitet. Die Schlusspointe (ja, plottechnisch kann man wirklich nicht jammern!) wird auch eindeutig aus Sicht von Jonas gezeigt.

 

Der Roman ist wirklich schmal (das Hörbuch hat nur vier Stunden) und ich habe ihn an einem Tag durchgelesen. Andere hätten diesen Plot auf locker das Dreifache ausgeweitet. Ich weiß zu schätzen, dass die Autorin Respekt vor meiner Zeit als Leserin hat. Allerdings hätte etwas mehr Detailfülle hier nicht geschadet. Ich "sehe" und "rieche" fast nichts. Es wird kaum mal ein äußeres Merkmal geschildert, es sei denn, es ist extrem bedeutsam, wie bei Jonas' Freund Mehmet, der schwer krank ist.

Wäre es ein Theaterstück mit Kulisse, es wäre sehr minimalistisch. Ich bin auditiv, bei mir kommt man mit Dialogen schon ziemlich weit. Aber das hier ist dann doch sehr komprimiert. Wer war die Alterszielgruppe? Beim Online-Shop steht dazu nichts. Mir kam es eigentlich nicht wie ein Jugendbuchroman vor, jedenfalls nicht explizit. Einige der Bewertenden im Shop waren erst vierzehn, in dem Alter hätte mir der Roman definitiv auch bereits gefallen (vermutlich mehr als heute, weil ich damals doch deutlich mehr auf Ideen, Spannung und Inhalt gesetzt habe und Details eher überlesen habe, heute kenne ich die meisten Ideen eh schon, möchte aber gern bisher ungekannte Details lesen und schöne, lebendige Sprache genießen).

Die Kapitel von Jonas 7 haben einen ganz anderen Stil haben als jene von Jonas. Jonas 7 fasst uns eher seine Erlebnisse zusammen, während aus Jonas personaler Sicht sehr szenisch erzählt wird und wir auch nur recht wenig von seinen Gedanken mitbekommen. Diese sehr unterschiedlichen Erzählweisen und Perspektiven sorgen natürlich auch dafür, dass die Verwechselungsgefahr kaum vorhanden ist. 

 

Ich kann kaum glauben, dass der Roman tatsächlich von 1992 ist. Das Setting hätte ich so oder so gelobt, so gut durchdacht, voller Details und medizinisch und technisch überzeugend, wie es ist - für 1992 allerdings ist das Setting geradezu genial. Das "Allnet" und das "Allphone" nehmen ja die Entwicklung vorweg, die das Internet genommen hat (von dem ich erst ab ca. 1996 überhaupt etwas wusste) und das Smartphone, von dem wohl 1992 noch niemand so richtig etwas wissen konnte. Diese Fakten der Roman-Zukunft sind auch geschickt eingebaut. Es würde Spaß machen, nach Hinweisen im Roman zu suchen und einiges zusammenzutragen, das diese futuristische Welt so überzeugend macht.

 

Die Fakten - sowohl in der abgeschirmten Welt von Jonas 7, als auch in der Welt der Menschen, sind überzeugend. So eine Welt ist vorstellbar, wenn auch dieser Roman sehr viel expliziter ethische Fragen aufwirft als beispielsweise Ishiguro in "Alles, was wir geben mussten", was ihn natürlich auch leichter angreifbar macht. Ishiguro hat viel uns Leser:innen überlassen, Rabisch wirft die Fragen zumindest offen auf, wenn sie nicht sogar einen Antwortentwurf anbietet. Interessant ist natürlich auch, dass der Roman von Rabisch so viel älter ist - und sich ganz und gar nicht veraltet liest, während Ishiguros Roman von 2005 ist, aber genauso gut aus 1992 hätte stammen können, da Mobiltelefone, Internet und co. dort quasi keine Rolle spielen. Die Klone bei Ishiguro wissen, dass sie irgendwann "spenden" müssen, die Duplikaten in diesem Roman kennen ihre Bestimmung nicht. Sie sind auch viel eingesperrter und wissen rein gar nichts von der Welt da draußen. 

 

Es gibt viel Dialog oder eben reflektierende Gedanken der beiden Hauptpersonen, Jonas 7 und Jonas, was fast so wirkt, als würde fast der gesamte Roman nur aus gesprochener (oder gedachter) Sprache bestehen. Zwar schätze ich Dialoge sehr und habe sogar schon Drehbücher mit Genuss gelesen, aber die Dialoge sind nicht ganz so fluffig, wie ich sie gern hätte. Die unterschiedlichen Stimmen klingen für mein persönliches Empfinden recht ähnlich, sowohl die verschiedenen Figuren als auch die Erzählstimmen. Oft sind Dialogstücke sehr lang und recht erklärend, ich bin unsicher: Erklärt der Sprechende das nun wirklich seinem Gegenüber oder wird gerade mir als Leserin mittels des Dialogs etwas erklärt? Hier ein Beispiel, in dem Jonas seinem Freund Mehmet eine Frage stellt und eine erklärende Antwort erhält:

 

"Werden denn So viele Anträge gestellt?"

"Wir können sie gar nicht so schnell bearbeiten! Du weißt vielleicht, dass für alle Defekte, die operativ behebbar sind oder die medikamentös unterdrückt werden können, nur ein eingeschränktes Fortpflanzungsverbot besteht."

 

Da das Thema Eugenik (wie man an diesem Dialog ja auch sieht) ebenfalls eine Rolle spielt, war der Roman teilweise auch Grundlage für ethische Diskussionen im Schulunterricht, wie ich den Rezensionen eines großen Online-Anbieters entnehmen kann. 

 

Oft finde ich im Text sehr gute Gedanken, die aber eben oft sehr direkt vermittelt werden. Hier ein Beispiel aus einem Kapitelstück, das aus Sicht des Dupliken Jonas 7 geschildert wird, die ich als Inhalt gelungen finde, aber eben auch eher wenig subtil:

 

"Ich will auch Fehler machen dürfen. Das sind wenigstens meine Fehler. So habe ich das Gefühl, dass mein Leben gar nicht mir gehört, sondern den Frauen, die alles bestimmen und regeln. Manchmal hasse ich sie."

 

Ich habe ein bisschen etwas von dem gefunden, wonach ich eigentlich gesucht habe, nämlich nach Eltern, die den Verlust eines Kindes nicht ertragen wollen. Jonas' Vater allerdings wirkt ein wenig so, als würde er nur seine Nachkommenschaft sichern wollen. Viel von Vaterliebe spüre ich da nicht. Immerhin macht Jonas' Vater seine Motivation mehr als klar:

 

"Aber nachdem ich bei einem Bekannten erlebt hab, dass seine Tochter im Alter von vier Jahren sterben musste, nur weil kein genidentisches Knochenmark zur Verfügung stand, hab ich zu eurer Mutter gesagt: Von unserem zweiten Kind wird ein Duplik gemacht, sonst sind wir geschiedenen Leute."

 

Von dem Vater erfahren wir auch viele Details über das Geschäft mit den Duplikaten (denn ein Geschäft muss man es ja quasi nennen) und dass daran gearbeitet wird, auch von bereits lebenden Menschen noch Klone zu erstellen, was zum Zeitpunkt des Romans noch nicht möglich ist. Einige der Details zum Kinderkriegen erinnern sehr an den Film Gattaca, den es aber 1992 ebenfalls noch nicht gegeben hat. Dolly hat es übrigens auch erst 1996 gegeben.

 

Was indirekt angedeutet wird, hat mich sehr unterhalten. Es gibt keine Supermärkte mehr. Es wird alles bestellt und ist in einer halben Stunde da. Filmtitel, Musiktitel, Buchtitel: Eintippen, loslegen. Da hat wohl jemand Amazon vorhergesehen.

Diversität

Der beste Freund von Jonas, Mehmet, leidet an Knochenschwund und sitzt daher im Rollstuhl, ist außerdem zum Zeitpunkt des Romans extrem behindert, kann nur noch die linke Hand bewegen und nicht mehr sprechen. Mehmet war für mich die interessanteste und bemerkenswerteste Figur in dem Roman.

Harte Fakten

Titel Duplik Jonas 7 
geschrieben von Birgit Rabisch 
Erscheinungsjahr 1992 (2017 aktualisiert)
Seitenzahl 149 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1417933104304599041 

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