Inhalt
Den ersten Teil habe ich ja bereits rezensiert. Nun also der zweite Teil mit vierzehn weiteren Geschichten.
Der zweite Teil gefällt mir deutlich, deutlich, deutlich besser als der erste. Der erste ist hauptsächlich aus historischen Gründen interessant, auch wenn ein Drittel der Stories auch von heute aus gesehen noch lesenswert sind. Dieser Teil hingegen enthält eine der besten Kurzgeschichten, die ich je gelesen habe und noch einige andere, die wirklich richtig gut sind.
Meine Highlights in diesem Band:
- Schöner Leben von Jerome Bixby
- Blumen für Algernon von Daniel Keyes
- Eiskalte Gleichungen von Tom Godwin
Wer wenig Zeit hat, liest einfach nur die drei Stories. Richtig, richtig gut.
Ein paar andere Rezensionen finden sich hier.
Scanner leben vergebens von Cordwainer Smith
Ich habe die Story nicht durchgehalten, muss mich also enthalten. Sie wird aber hier ausführlich erläutert und besprochen.
Der Himmel auf dem Mars von Ray Bradbury
Die kannte ich schon, da ich den größten Teil der Mars-Chroniken kenne. Die Chroniken haben mir nicht besonders gefallen, Bradbury insgesamt liegt mir nicht besonders. Diese Geschichte bietet aber einige sehr gute Ideen.
Hier finden us-amerikanische Astronauten auf dem Mars eine Art ehemaliges Amerika wieder - inklusiver geliebter, mittlerweile verstorbener Verwandte wie Großeltern. Natürlich bleibt es nicht bei dem idyllischen Setting und die Story bietet eine Pointe.
Die kleine schwarze Tasche von Cyril M. Kornbluth
Fällt gleich positiv auf, sowohl von der Idee als auch stilistisch. Ganz zu Beginn lerne ich Dr. Full kennen, einen ehemaligen Arzt, der aber seit Jahren nicht mehr praktiziert (aus unschönen Gründen, die später noch offengelegt werden). Full spricht dem Alkohol sehr zu, ist in den Sechzigern und die Geschichte spielt in den Vierziger Jahren.
Wir schwenken kurz ins 25. Jahrhundert, lernen einen Arzt namens Dr. Hemingway kennen, der durch ein Zeitreise-Experiment seine kleine schwarze Tasche verliert - seine wertvolle Arzttasche, die all seine Instrumente, Medikamente und Diagnosetipps enthält. Diese Tasche landet natürlich beim verkaterten Dr. Full, der sich sehr wundert, denn seine recht ähnliche Tasche hat er doch schon vor Jahren verloren.
Er geht los, um die Tasche zu versetzen, wird aber zu einem kranken Mädchen gerufen (das übrigens am Vorabend an den Scherben einer Weinflasche, die er zerbrochen hatte, verletzt wurde, aber das hat er vergessen). Dank der Tasche kann er sie vor einer Blutvergiftung retten. Das führt dann nach und nach dazu, dass sich das Leben von Dr. Full komplett ändert - zum Positiven für ihn und seine Umwelt.
Die Geschichte ist äußerst originell und spannend, da verzeihe ich auch die recht flache Antagonistin (mit einer wenig überzeugenden Antriebsfeder) und dass der Schluss nicht so ganz meinem Geschmack entspricht.
Menschenkind von Richard Matheson
Jemand ist im Keller eingesperrt und darf nicht hinaus. Hier steht alles sehr indirekt und zwischen den Zeilen. Es regnet nicht, es fällt Wasser von oben herab. Es scheint nicht die Sonne, es "hatte Gold am Himmel".
Das ist so subtil, ich muss sagen, ich habe den Schluss nicht verstanden und musste danach verzweifelt googeln, was das denn nun alles zu bedeuten hat. Dabei ist die Story sehr kurz und ich habe mir wirklich Zeit gelassen. Trotz allem sehr eindringlich, fast schon eher das Genre Horror.
Schöne Aussichten von Fritz Leiber
Nun ja. Ich gehe nicht so ganz mit und komme mit Plot und Schluss auch nicht gut klar. Ein Brite befindet sich in den USA (aber nur so lange unbedingt notwendig) und dort maskieren sich die Frauen das Gesicht. Den restlichen Körper zu entblößen ist nicht unbedingt problematisch, aber das Gesicht wird nicht gezeigt. Offenbar ist das aber nur eine Art Mode, doch wer sich ihr nicht beugt, hat ein Problem.
Ab und zu gibt es kleine, nette SF-Details, wie dass der Protagonist beim Fernsehen mittels "Hendler-Öffnung" die Hand der Dame halten kann, die gerade im Fernsehen singt. Oder fortschrittliche Geräte sind kaputt, wie z. B. ein Radionikherd, der zum Auftauen und Heißmachen einer Mahlzeit genutzt wird, aber der Protagonist stößt beim Essen auf ein Stück Eis im Fleisch.
Offenbar ist es in dieser Welt auch so, dass die Männer den Frauen nicht zwingend körperlich überlegen sind, eher im Gegenteil.
"... der Mann ist in Gewicht und Reichweite deutlich unterlegen, die maskierte Frau jung und kräftig ... "
An einigen Stellen wird der Kalte Krieg oder zumindest das Weltraum-Wettrennen zwischen den USA und Russland als Hintergrund deutlich, wie beispielsweise hier:
"Aber er ist nicht mehr Englands Mond. Er gehört und und den Russen. Ihr habt keine Verantwortung dafür."
Die Suche nach dem Heiligen Aquin von Anthony Boucher
Diese Geschichte hat mich davon überzeugt, dass man Religion und SF gekonnt vereinen kann. Hier reist ein Priester namens Thomas auf einem Robo-Esel auf der Suche nach der Leiche von Thomas von Aquin, der angeblich nicht verwest. Die Unterhaltungen zwischen den beiden sind äußerst intelligent und witzig, ich vermute, sowohl für Ungläubige als auch für Gläubige.
Hat der Robo-Esel keine Seele? Woher will man das eigentlich wissen?
Ein paar Referenzen auf die Bibel sind mir natürlich unbekannt - ja, ich kenne den barmherzigen Samariter, aber mit einem Bileam, der mit seinem Esel sprach, kann ich nichts anfangen.
Dann fängt mein Hirn schon etwas an, sich zu verknoten, wenn sie sich über die Vollkommenheit von Gott oder von Robotern unterhalten, aber die Unvollkommenheit der Menschen - könnte etwas Vollkommenes (Gott) etwas Unvollkommenes (den Menschen) erschaffen haben, aber etwas Unvollkommenes (die Menschen) etwas Vollkommenes (die Roboter)?
Ich gehe dann mal ein paar Jahre lang nachdenken.
Auch die Pointe hat überzeugt. Wirklich witzig, das leicht veränderte Setting und die Mischung zwischen echt lange her und Science Fiction.
Schön auch, dass der Robo-Esel nicht intonieren kann und wenn er eine Frage stellt, die Stimme nicht heben kann, sondern immer "Fragezeichen" dazu sagen muss.
Oberflächenspannung von James Blish
Das ist als Story schon sehr phantastisch und dementsprechend muss ich anfangs dem Fluchtreflex widerstehen. Aber die Idee ist cool und es ist verdammt gut geschrieben mit tollen Einfällen und Details.
Sieben Menschen landen auf einem Planeten, der bereits etwas Flora und Fauna hat. Es ist klar, dass sie nur noch einen Monat zu leben haben, aber sie wollen die humanoide Evolutionen dort neu starten. Ein Süßwassertümpel scheint ihnen dafür der geeignete Startpunkt zu sein. Sie entwickeln die Lebewesen, geben ihnen ein paar unkaputtbare Metall-Inschriften mit und ziehen sich zum Sterben zurück. Daraufhin entwickeln sich die neuen Wesen in der Tat zu denkenden und fühlenden Wesen. Einiges an dem Plan geht auf - anderes läuft in eine Richtung, die wohl in der Eile nicht ganz bedacht werden konnte.
Beispielsweise ist die Chemie im Wasser nicht ganz einfach, mit dem Wasser vermischt sich ja alles (das Problem kennen wir hier oben an der Luft deutlich weniger).
Nett auch:
"... kein Eis bildete sich am Himmel..."
Da wird die Perspektive von unten auf die Wasseroberfläche auch mehr als deutlich, niedlich, dass sie das auch einfach Himmel nennen. Und selbstverständlich muss ja auch das Raumschiff mit Wasser gefüllt sein. Entwicklungstechnisch wurden irgendwann nicht mehr "zufällig vorbeikommende Bakterien" aufgegessen, sondern die Algenernte vorangetrieben.
Die neun Milliarden Namen Gottes von Arthur C. Clarke
Eine sehr pointierte, kurze Story: "Soweit ich weiß, ist es das erste Mal, dass ein tibetanisches Kloster einen automatischen Sequenzrechner bestellt."
Die Mönchen möchten die neun Milliarden Namen Gottes ausrechnen. Dazu würden sie manuell fünfzehntausend Jahre brauchen, so aber brauchen sie nur drei Monate, denn das Alphabet, dass hier zugrunde liegt, hat nur neun Buchstaben und komplett sinnfreie Kombinationen können außer Acht gelassen werden (ein Buchstabe z. B. nicht mehr als dreimal hintereinander).
Aber was geschieht, wenn sie damit fertig sind?
Schöne Idee, viel Humor.
Schöner Leben von Jerome Bixby
Sehr, sehr selten finde ich mal eine Short Story, die ich im Leben nicht mehr vergessen werde. Diese hier ist so eine. Sie ist dermaßen gut, gut geschrieben, genau richtig subtil, entblättert nach und nach ihre Bedeutung und ihre krasse Tragweite und lässt einen am Ende mit weiterführenden Gedanken zurück, Konsequenzen und Schlussfolgerungen, die sich mir aufdrängen und möglicherweise noch für viel Kopfkino sorgen werden.
Hier wäre Stephen King neidisch (der selber zwei Kurzgeschichten auf diesem Niveau geschrieben hat, wenn auch ganz sicher nicht mit dieser Tragweite, nämlich "Travel" und "der Überlebenskünstler").
Hier ist mal konsequent zu Ende gedacht, was passiert, wenn ein Kind Kraft seiner Gedanken alles wahr werden lassen kann, was es denkt. Und zwar, bevor es irgendwie moralisiert und sozialisiert wurde.
So eine Geschichte zu lesen, erinnert mich daran, warum ich schreibe. Einmal bitte, möchte mir doch so ein Wurf gelingen, dann hat sich der ganze Schweiß gelohnt.
Ich habe mir gleich ein paar andere Stories von ihm besorgt, aber beim Reinlesen wurde schnell klar, dass er nicht immer dermaßen abliefern kann.
Eiskalte Gleichungen von Tom Godwin
Ziemlich schnell wurde mir klar, dass ich diese Kurzgeschichte aus Sekundärliteratur kenne. Im Science Fiction Jahr 2012, im Feature "Meine Abenteuer im Unfugland" (von Margaret Atwood) ab ca. Seite 64 wird diese Kurzgeschichte sehr ausführlich besprochen. Die Geschichte ist ursprünglich in der Astounding Science Fiction im Jahre 1954 erschienen. In dem Artikel wird klar, dass Godwin bis auf diese Geschichte kaum SF veröffentlicht hat. Der wikipedia-Artikel legt nahe, dass diese Story eine der wenigen von ihm ist, die überhaupt ins Deutsche übersetzt worden sind (auch unter den Titeln "Die kalten Gleichungen" oder "Die unsterblichen Gesetze", im Original "The Cold Equations").
Seinen Ruf verdankt er laut Atwood tatsächlich in der Hauptsache genau dieser Geschichte. Zu Recht. Zwar ist sie meiner Meinung nach nicht so genial wie "Schöner Leben" von Bixby, aber sie ist definitiv konsequent, bleibt im Kopf und ich musste sogar ein bisschen weinen - obwohl ich dank des Essays ja genau wusste, wie sie ausgehen würde.
Ein Pilot, Barton, ist mit einem Raumschiff unterwegs, um lebenswichtige Medikamente zu einem Trupp von sechs Männern zu bringen. Alles ist absolut genau berechnet, er hat nur so viel Treibstoff dabei, wie er benötigt, nicht einen Tropfen mehr, um nicht mehr Gewicht an Bord zu haben. Kurz nach dem Start entdeckt er, dass er einen blinden Passagier hat. Diesen muss er nach den Regeln aus der Luftschleuse werfen (was dieser natürlich nicht überleben kann), denn sonst würde der Treibstoff für die Bremsung von 5G nicht ausreichen und das Raumschiff würde zerschellen - statt einer Person würden dann sieben weitere sterben (Pilot und die sechs Männer, die dringend die Medikamente benötigen).
Der Passagier stellt sich als junges Mädchen von 18 Jahren heraus, die hoffte, ihren Bruder wiedersehen zu können. Der Pilot muss ihr nun beibringen, was er mit ihr machen muss und warum.
Ein schwieriges Thema perfekt bearbeitet.
Laut Atwood ist die Story deswegen so erfolgreich, weil die Handlung "verblüffend simpel" sei. In der Tat leuchtet sofort ein, wo hier der Konflikt und die zwingende Lösung liegt, sowohl den Figuren als auch dem Publikum. Man kann nichts einwenden, aber uns fällt es ebenso schwer, die Konsequenz zu akzeptieren wie dem Piloten oder dem Mädchen selbst - oder auch ihrem Bruder, der während der Geschichte davon erfährt, was geschehen ist und was nun passieren muss.
(Ich meine aber, irgendwo anders mal einen Artikel gelesen zu haben, der über mögliche Lösungen aus dem Dilemma nachdenkt, finde den aber nicht wieder.)
Dazu bietet die Geschichte ausreichend Details und Hintergründe, die zur Identifikation mit den Figuren ausreichen und uns emotional mitnehmen. Der Erfolg dieser Geschichte wundert mich also nicht.
Das Feature im Science Fiction Jahr 2012 ist ebenfalls sehr zu empfehlen, weil es noch mal viel mehr in die Tiefe geht (aufgrund Atwoods jahrzehntelanger Erfahrung mit SF und auch, weil sie natürlich viel mehr Platz hat und sehr in die Tiefe geht - die Ebooks der alten SF Jahre zwischen 2010 und 2015 kosten auch nur knapp 5 Euro).
Geliebtes Fahrenheit von Alfred Bester
Sowohl stilistisch als auch inhaltlich hat mich diese Geschichte verwirrt und nicht ganz mitgenommen. Das Rätsel, das recht weit zu Anfang aufgeworfen wird, fesselt mich noch: Ein Mehrzweck-Androide hat jemanden getötet (und tötet im Verlaufe der Geschichte erneut). Wie ist das möglich? Androiden können eigentlich niemandem Schaden zufügen.
Es gibt eine Erklärung, die mir aber nicht einleuchten möchte. Was mich aber noch viel mehr stört, ist diese seltsame Ich-Person, die immer mal wieder zu Wort kommt. Wer soll das sein?
Wer reinschauen will, auf Englisch scheint die Story hier herunterladbar zu sein. Zu meiner großen Erleichterung haben die Forenteilnehmenden da auch Probleme mit dem Wechsel der Erzählperspektive und dem komischen "Ich" zwischendurch.
Das Land der Sanftmütigen von Damon Knight
Es fängt extrem interessant an, dann verliere ich aber nach einigen Seiten doch das Interesse. Die Idee finde ich eigentlich gut, aber die Herangehensweise war irgendwie nicht meins.
Blumen für Algernon von Daniel Keyes
Richtig, richtig gut. Ich glaube auch, dass Winston Groom für Forrest Gump (bezogen auf den Roman, nicht den Film - ich habe den Roman bestimmt viermal gelesen) ein bisschen von dieser Story inspiriert war. Die Szene mit den Tintenklecksen, die dem Ich-Erzähler gezeigt werden, erinnert doch sehr an eine ähnliche Szene, in der Forrest Gump Tintenkleckse gezeigt werden und er gefragt wird, was er darin sieht und er ständig nur "Tintenkleckse" antwortet (ich denke, die Szene kommt nicht im Film vor, nur im Roman).
Der Ich-Erzähler Charlie hat einen IQ von 68. Auf Empfehlung seiner Lehrerin soll eine Operation mit ihm versucht werden, die bereits Erfolg bei einer weißen Maus namens Algernon hatte. Diese OP wird seinen IQ verdreifachen - allerdings nicht über Nacht, sondern nach und nach, innerhalb einiger Wochen, in denen er gleichzeitig auch stimuliert wird und lernt.
Wir folgen Charlie vor der OP, anhand von Log-Einträgen, und auch nach der OP. Sein Stil ändert sich auffällig. Anfänglich ist seine Rechtschreibung und Art sich auszudrücken, dürftig, auch anhand des Inhalts wird klar, dass vieles, was um ihn herum geschieht und besprochen wird, total über seinen Kopf geht. Nach der OP bessert sich das, bis er so abgefahren berichtet, dass ich fast als Pointe vermute, dass ich ihm am Ende gar nicht mehr folgen können werde.
Doch es kommt anders. Dies deutet sich zunächst durch die Maus Algernon an.
Eine richtig gute Geschichte, die mich an einige andere erinnert, die aber alle nach dieser hier erschienen - also inspirierte diese Story womöglich einige andere.
Dem Prediger die Rose von Roger Zelazny
Spielt auf dem Mars - hat mich nicht so ganz mitgenommen, trotz Pointe und eigentlich allem, was eine Story braucht. Ist wohl persönlicher Geschmack.
Harte Fakten
Titel | Science Fiction Hall of Fame 2: Die besten Storys 1948 - 1963 |
herausgegeben von | Robert Silverberg |
übersetzt von | Laura Gutmann, Eva Malsch, Michael Iwoleit u. a. |
Erscheinungsjahr | 2018 (die Kurzgeschichten stammen von 1948-1963) |
Seitenzahl | 420 |
Anzahl Geschichten | 14 |
Original Twitter Tweet | https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1410461832498790403 |
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