Inhalt
Wir haben hier zwei zusammenhängende Geschichten, die von der 19jährigen Studentin Kivrin und ihrem Professor Dunworth:
Oxford, 2054: Kivrin, eine junge Studentin, möchte siebenhundert Jahre in die Vergangenheit reisen und das Weihnachtsfest im mittelalterlichen England erforschen. Sie bereitet sich sehr sorgfältig vor: Lernt reiten, Latein, studiert die englische Sprache zu der Zeit, lässt sich eine chemische Dolmetscher-Hilfe einpflanzen, kleidet sich entsprechend, legt sich eine glaubhafte Geschichte und Identität zu und wird gegen so ziemlich alles geimpft, was es damals gab, von den Pocken, Typhus bis hin zur Pest. Ihr Ziel ist allerdings 1320 und die Pest kam erst 1348 nach England.
Dunworth, ihr Professor, sieht die Reise skeptisch. Das Mittelalter sei zu gefährlich für eine junge Frau alleine. Außerdem traut er den Verantwortlichen der Reise nicht. Haben sie alles richtig berechnet? Seiner Meinung nach hätte alles besser geprobt und vorbereitet werden sollen.
Kivrin wird in die Vergangenheit geschickt und zunächst erscheint alles OK zu sein. Der Techniker Badri arbeitet an der Fixierung. Das bedeutet, genau festzustellen, wo bzw. wann Kivrin gelandet ist, es kann nämlich eine Abweichung von Stunden oder gar Tagen geben. Dies ist für die Rückholung in zweieinhalb Wochen von großer Bedeutung.
Doch etwas stimmt nicht. Badri wird plötzlich krank, im Fieberwahn können Dunworth und die Ärztin Mary kaum ausmachen, wovon er spricht. Ein Test ergibt einen Virus. Oxford wird unter Quarantäne gestellt. Es wird schwierig, einen anderen Techniker zu finden, der die Fixierung überprüft. Dunworth sorgt sich mehr und mehr um Kivrin.
Gleichzeitig überstürzen sich die Ereignisse in seiner Gegenwart, mehr und mehr Leute werden krank, dann stirbt die erste. Was ist das für ein Virus? Woher kommt er? Und das in einer Welt, in der es Impfungen für so ziemlich alles gibt und Leute in Kivrins Alter noch nie krank gewesen sind.
Kivrin kommt in der Vergangenheit an. Das Datum scheint zu stimmen, jedenfalls der Tag. Der Ort jedoch stimmt nicht ganz, sie landet weit abseits einer Straße. Was das Jahr betrifft, bekommen wir auch bald Grund, an der Genauigkeit der Berechnungen zu zweifeln. Und sie ist krank. Sie scheint dasselbe zu haben wie Badri. Für die Reise mit Immunverstärkern ausgestattet, schafft sie es trotz der widrigen Umstände deutlich rascher als Badri, wieder zu gesunden. Außerdem erhält sie Hilfe einer heimischen Familie, die allerdings ihre eigenen Probleme hat.
Ich fand vor allem die Story im Oxford der 2054er Jahre spannend. (Witzigerweise sind die meisten anderen Rezensionen bei amazon der genau gegenteiligen Meinung.) Historische Romane sind nicht so mein Ding. Ich weiß, dass Willis später noch Zeitreise-Romane geschrieben hat, in denen es eher ins 20. Jahrhundert zu Zeiten des zweiten Weltkriegs ging, das wäre wohl eher etwas für mich. Aber nichtsdestotrotz war es toll, gut durchdacht, hervorragend recherchiert, absolut glaubwürdig trotz des phantastischen Unterbaus und mit herrlichen Nebenfiguren bestückt. Zu Zeiten des Corona-Virus finde ich es etwas leichtsinnig, wie sie innerhalb der Quarantäne in Oxford miteinander umgehen. Sie machen eine Weihnachtsmesse? Wieso bleiben die Leute nicht zu Hause? Also bitte! Aber immerhin werden die Kranken isoliert und es werden zum Teil Atemschutzmasken verwendet.
Die Pest wird sehr eindrucksvoll geschildert. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich bisher die Pest nur aus dem Roman "Der Medicus" kannte und dort fand ich es ebenfalls sehr gelungen gruselig beschrieben.
Dafür, dass sowohl Klappentext als auch Titel Teile des Inhalts spoilern, dauert es aber ganz schön lange (400 Seiten auf meinem Ebook, das unter 600 Seiten anzeigte), bis das erste Pestopfer auftaucht.
Der Schluss ist sehr abrupt. Oliver Twist ist das nicht. Ich blättere um und stelle fest, dass es hier wohl kein Nachgeplänkel gibt - ein Schluss, der besser zu einer Kurzgeschichte mit begrenzter Zeichenzahl gepasst hätte.
Die Figuren sind ausreichend glaubhaft, bis hin zu Nebenfiguren. Was ich nicht so gut fand, war, dass viele der Nebenfiguren im Off gestorben sind. Dies war teilweise kaum anders zu lösen, da ausschließlich aus Kivrins und Dunworths Sicht geschrieben wurde und Dunworth einiges nicht hätte mitbekommen können, doch einige davon hätte man auch in den beschriebenen Szenen sterben lassen können.
Gut nebeneinanderlegt sind die beiden Epidemien: Die Pest im Jahre 1348, die absolute Hilflosigkeit Kivrins, der keinerlei Hilfsmittel zur Verfügung stehen, obwohl sie historisch einige Erinnerungen an die Pest hat. Immerhin ist sie selber geimpft, muss also für sich keine Ansteckung fürchten.
Daneben der Grippevirus in dem 2054, das unserer Gegenwart einige Schritte voraus ist. Alleine die Geschwindigkeit, in der Impfstoffe entwickelt und zugelassen werden können, hat mit unserer Corona-Wirklichkeit nichts zu gemein. Nur ist der Virus auch um einiges ansteckender und auch tödlicher.
Trotzdem fand ich den Umgang mit der Pest glaubwürdiger. Kivrin sorgt viel mehr für Abstand und Hygiene mit ihren beschränkten Mitteln als die Leute in Oxford. Bitte: Sogar das Klopapier wird knapp. Dafür muss es doch im Jahre 2054 Lösungen geben! Auch Schutzkleidung, die natürlich irgendwann ausgeht, müsste man doch sicher ins Quarantänegebiet schaffen können. Da lief es im Frühling 2020 in Italien aber mit der Versorgung der stark betroffenen Gebiete deutlich besser.
Bei dem unzulänglichen Verhalten der Menschen in Oxford ist es kein Wunder, dass sich die Leute trotzdem anstecken. Da hätte ich mir doch mehr Umsicht gewünscht. Sogar ich als Laie hätte nach den Corona-Erfahrungen ein paar nützliche Tipps gehabt und die Leute in Oxford haben laut Roman schon mindestens eine starke Pandemie in ihrer Vergangenheit hinter sich.
Ich habe den Roman gekauft, weil er den Hugo Award gewonnen hat. In den Zusammenfassungen von Hugo Kettlitz hieß es, dass es außerdem einer der wenigen Zeitreiseromane sei, bei denen eine Frau die Hauptrolle spiele. Ohne den Hinweis wäre mir das selber gar nicht aufgefallen.
Harte Fakten
Titel | Die Jahre des schwarzen Todes |
Autor*in | Connie Willis |
Erscheinungsjahr | 1992 |
Seitenzahl | 784 |
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