Inhalt
Hintergrund für die Doppelausgabe ist, dass sie so viele Geschichten von hoher Qualität zugeschickt bekommen hatten, dass sie sich nicht auf nur eine Mars-Ausgabe beschränken wollten.
Zwar gibt es kaum Autorinnen, aber wie um das auszugleichen, haben viele der männlichen Autoren ihre Geschichten mit weiblichen Heldinnen und teilweise gar Ich-Erzählerinnen ausgestattet, und das stets überzeugend Außerdem ist das Exodus-Magazin sonst bekannt für eine eher angenehme Frauenquote, z. b. in der neuesten Ausgabe.
Ganz im Gegensatz zu meinem üblichen Prozedere rezensiere ich nicht jede Story einzeln, sondern nur einige meiner persönlichen Höhepunkte.
Es sind dabei (siehe auch Exodus-Homepage): Christian Endres (sogar zweimal, wenn auch hier nur einmal rezensiert), Frank N. Schatz, Karsten Lorenz, Thorsten Küper, Jacqueline Montemurri, Angela und Karlheinz Steinmüller, Victor Boden, Wolf Welling, Uwe Herrmann, Andreas Eschbach, Roman Schleifer, Rico Gehrke, Hans Jürgen Kugler, Norbert Stöbe, Maike Brain, Axel Kruse, Helmut Ehls, Arnold Spree, Horst Pukallus und Henrik Wyler.
Meine persönlichen Highlights aus Heft #40
Der letzte Tag von Roman Schleifer
Hier ist es einem Autoren gelungen, die Frauensicht sehr gut hinzukriegen. Zunächst hatte ich mich gefragt, warum unbedingt in der Vergangenheit der Protagonistin, der Crew-Chefin Sarah, eine Vergewaltigung liegen muss. Beim Fortschreiten der Geschichte habe ich die Notwendigkeit eingesehen.
Eine sechsköpfige Crew - drei Männer, drei Frauen - bereitet auf dem Mars alles für eine größere Besiedlung vor. Entsprechend viel Nahrung und Ressourcen haben sie bereits mitgebracht. Dann nähert sich ein Asteroid mit zehn Kilometern Durchmesser der Erde. Beim Versuch, diesen mit Atomwaffen zu zerstören, werden Teile des Asteroiden abgesplittet und treffen den Mond, wo eine Mondbasis der Menschen stationiert ist. Der größere Teil des Asteroiden landet auf der Erde und bombt diese "in die Steinzeit zurück" - falls überhaupt Menschen überleben.
Die Crew ist also auf dem Mars gestrandet. Dabei gab es vorher schon Probleme mit Einsamkeit und Depressionen. Nun möchte eines der männlichen Crew-Mitglieder, Jannick, die Menschheit neu gründen. Zu sechst würde das bedeuten, dass die Frauen jährlich oder häufiger schwanger werden müssen, damit alle drei noch mindestens zehn Geburten schaffen. Sarah möchte das nicht, auch die anderen beiden Frauen sind nicht überzeugt. Jannick und die anderen beiden männlichen Crew-Mitglieder, versuchen es mit Gewalt und Erpressung.
Nun, Geschichten, in denen Frauen zum Sexobjekt degradiert werden, gibt es wohl genug. Ich habe aber selten bis nie eine Geschichte gelesen, in der Frauen auf Gebärmaschinen reduziert werden sollen. Diese Vorstellung ist extrem gruselig. Das Thema ist meiner Meinung nach hier auf eindringliche, überzeugende Art dargestellt und ich fiebere durchweg mit Sarah mit.
Der Fortgang und Schluss hat mich in einer Art und Weise mitgenommen, bei der klar ist: So schnell vergesse ich diese Geschichte nicht. Das hat mich sehr beeindruckt.
Der Autor ist übrigens bei Perry Rhodan sehr aktiv, siehe Perrypedia.
Kleopatras Perlen von Rico Gehrke
War man etwas in Kleopatras Zeiten bereits auf dem Mars? Eine Frage, die sich der Ich-Erzählerin Anne Parker geradezu aufdrängt, als sie während einer Mars-Expedition feststellt, dass die hiesigen Krebse sich unter dem Panzer Perlen wachsen lassen können. Da die aber auch einiges wert sind, muss sie sich erst mit einem ziemlich machtvollen Antagonisten herumschlagen. Immerhin hat sie Verstärkung in Person des Piloten, mit dem sie zeitgleich auch zart anbändelt. Das liest sich fast wie ein guter Krimi out of Space.
Der Autor hat auch einen Verlag, näheres auf seiner Webseite. Autor:innen aufgepasst, da gibt es auch mal Ausschreibungen.
Hier auf dem Mars von Norbert Stöbe
Ich glaube, ich hatte mir nicht klar gemacht, dass ein Flug vom Mond (oder der Erde) zum Mars elf Monate dauert. Umso fataler, dass plötzlich alle lebenden Pflanzen zugrunde gegangen sind und die Vorräte nicht reichen werden - nicht für alle. Was tun?
Ein Konflikt, der zwar nicht neu ist, aber doch immer wieder spannend und hier gut umgesetzt. Wer entscheidet, wo liegen die Prioritäten und Interessen? Außerdem ist es dem Autor auf kurzem Raum gelungen, ein paar dreidimensionale Charaktere zu entwerfen. Ich bin ihnen gern gefolgt und klebte vor Spannung an den Seiten.
Einzig der Titel leuchtet mir nicht ein - zu dieser tollen Story würden mir griffigere Titel einfallen, zumal in einer Anthologie, bei der alle Stories auf und um den Mars spielen.
Auch diese Story hat eine weibliche Protagonistin. Die Herren gleichen hier gut aus, dass so wenige Autorinnen dabei sind.
"Ozoapft is!" von Maike Braun
Wenn ich mich etwas mehr mit den Gegebenheiten auf dem Mars und mit Bier und Schaumkronen auskennte, wäre das für den Genuss dieser Story zwar besser, aber auch ich habe mich sehr amüsiert. Ein herrlich naiver Protagonist, der den ersten Biergarten auf dem Mars eröffnen möchte, aber dann doch feststellt, was er dabei alles nicht bedacht hat. Er macht eine nette Bekanntschaft und ein paar Entdeckungen und es kommt zu einem herrlichen Abschluss.
Übrigens: Artefakte von Uwe Kruse behandelt in seiner Geschichte ein Thema, das in der SF-Welt zurzeit offenbar viele umtreibt, nämlich Demenz. Die Widmung "Für meinen Vater" unter dem Titel lässt mich dann etwas traurig werden
Highlights aus Heft #41
#BackFromMars von Christian Endres
Ich bin ja eh ein großer Fan von Christians Rezensionen. In dieser Kurzgeschichte hat er mich auch sofort eingefangen durch einen herrlich authentischen Ich-Erzähler, den Captain einer Mars-Expedition. Eben sind er und seine Crew zurück und man hofft, dass sie möglichst viel twittern - unter dem Hashtag #BackFromMars. Der Ich-Erzähler hat dazu einfach keine Lust. Als er doch einen Tweet absetzt, wird dieser gleich so interpretiert, dass man ihn dringend mal untersuchen müsste. Hat er etwa etwas vom Mars mitgebracht? Einen Parasiten? Einen Dachschaden? Spannende Story mit viel Dialog und einer schönen Pointe.
Als ich danach mit dem Autor über die Story chattete, sagte er, dass er zu dem Zeitpunkt, als er die Story schrieb, auf Twitter sehr inaktiv war.
Das Mädchen im Skianzug von Karsten Lorenz
Ich-Erzählerin Katarina arbeitet als Ärztin auf dem Mars, kümmert sich um die recht kleine Crew. Nur Erwachsene. Keine Kinder. Es ist nicht geplant, eine autonome Kolonie aufzubauen. Doch einige Mitglieder haben da andere Hoffnungen.
Spannung wird hier ganz subtil erzeugt. Wird die Crew überwacht? Was hat Dennis' Tod verursacht? Warum hat Carlos plötzlich Krebs? Was ist mit Ramon geschehen? Alles aus Sicht der Ärztin, die zunächst optimistisch bleibt und keinerlei Verdacht schöpft, doch nach und nach zu zweifeln beginnt.
Dazu nebenher ein paar wirklich eklige, aber einleuchtende Details darüber, wie man auf dem Mars an tierisches Protein und B12 kommen könnte. Würg. :-)
Dinner mit dem Präsidenten von Thorsten Küper
Hinter diesem Titel hätte ich nun keine so krasse Dystopie und eine ausgeklügelte Rache vermutet. Nach und nach wird die Vergangenheit der Welt, vor allem vom Protagonisten, dem deutschstämmigen Kommandanten Nolden, entblättert. Dieser möchte Rache. Viele Millionen Menschen auf der Erde ebenfalls. Aber Nolden bekommt seine Chance, während eines Dinners mit dem Präsidenten der USA, oben auf dem Mars.
Der Gott des Krieges von Jacqueline Montemurri
Eine internationale Crew, für 2,5 Jahre gemeinsam auf dem Mars. Familiäre Atmosphäre, es wird nicht nur gearbeitet, auch gespielt und Geburtstag gefeiert. Dann geschieht das Entsetzliche - sie können die Erde mit ihren Geräten nicht mehr sehen. Ist ein Krieg ausgebrochen, der die Erde komplett zerstört hat? Hat jemand aus der Crew etwas damit zu tun?
Spannend und eine für mich unerwarteten Pointe.
Marslandschaften von Angela und Karlheinz Steinmüller (nominiert für den Kurd Laßwitz Preis)
Das Ehepaar Müller fasst seine SF-Aktivitäten auf der Homepage zusammen. Die Seite bietet auch gute Infos und News aus der SF-Szene, muss ich mir mal bookmarken.
Beiden wurden bereits in der Vergangenheit mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet.
Die Story fällt auch tatsächlich in der Doppel-Ausgabe zum Thema Mars auf. Keine Reise auf den Mars, sondern Séance spielen eine Rolle - nur dass hier nicht mit Toten kommuniziert wird, sondern mit einem Marsianer Astané . Der Ich-Erzähler schildert dies alles aus der Sicht eines Skeptikers, der zwar mitmacht, aber kein Wort glaubt. Der leicht ironische Tonfall erzeugt so viel Humor, dass ich beim Lesen grinse. Selbst die Mars-Kanäle werden wieder hervorgekramt.
Von seinem Lebenspartner Arthur wurde der Ich-Erzähler zu den Séancen mitgenommen, es sei gut für die Inspiration, schließlich sei er ja Künstler (an der Leinwand). Doch nach und nach sorgt sich der Ich-Erzähler um Arthur, der nicht nur mehr sonntags von den Séancen und dem Medium Hélène Smith (bürgerlich Catherine-Élise Müller, die gab es übrigens tatsächlich von 1861 bis 1929) und dem Marsianer Astané spricht.
Je weiter die Story voranschreitet, desto mehr frage ich mich: Wer steigert sich hier eigentlich herein? Arthur oder der Ich-Erzähler? Oder ist das alles wahr?
Absolut gelungene Pointe. Ich habe meine Augenbrauen sehr hoch gezogen.
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Christoph Grimm (Donnerstag, 15 April 2021 00:44)
Die Exodus-Doppelnummer war wirklich bemerkenswert. Ich hätte mir gewünscht, sie hätten es als Buch herausgegeben. (Andererseits hätte es dann ja keine bemerkenswerte Doppel-Ausgabe gegeben)