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Erst recht bei der Hörversion fällt auf, dass dieser Autor Unmengen Erfahrungen auf Lesebühnen gesammelt hat. Daher kenne ich ihn auch, eher so aus der Zeit um 2005 herum.
Wenn ich mir in der jüngeren Vergangenheit Marc-Uwe Klings Prosa empfohlen wurde, reagierte ich bisher immer mit einem ungesunden Mischmasch aus Eifersucht und Neid.
Eifersucht, weil ich dachte: Das was doch mal unser Geheimtipp, als wir damals durch die Berliner Lesebühnen getingelt sind. Wieso kennt den jetzt jeder und seine Bücher sind Smalltalk bei den Müttern, wenn wir alle unsere Kinder von der Kita abholen?
Neid, weil: Wieso bin ich eigentlich nicht berühmt, ich war doch auch mal bei Berliner Lesebühnen aktiv? (Zugegebenermaßen längst nicht so sehr wie Marc-Uwe, vom komischen Talent wollen wir mal gar nicht erst sprechen ;-)).
Immerhin hat mich das Hören von QualityLand von beidem geheilt:
Eifersucht kann weg, denn: So viele Leute wie möglich sollten in den Genuss seiner Prosa kommen und nicht ein paar Clubgänger:innen, die genügend Zeit haben, abends stundenlang bei Lesebühnen herumzulungern und zufällig in Berlin wohnen.
Neid kann weg, denn: Er ist gut. Es ist gut, dass es nicht bei wöchentlichen Lesebühnenauftritten geblieben ist. (Abgesehen mal davon, dass ich an einem Montagabend bei denen am offenen Mikro stand, irre aufgeregt war und er total nett und unterstützend war.)
Sich das Hörbuch statt einfach das Buch zu kaufen hat sich aus meiner Sicht gelohnt. Der Autor liest herrlich, außerdem vor Publikum, das unaufdringlich, aber immer mal laut lacht. Auch ich habe sehr laut gelacht, an einigen Stellen. Besonders witzig ist das, wenn ich lache, während ich das jüngere Kind ins Bett bringe und das einfach mit lacht, obwohl es keine Ahnung hat wieso.
Es gibt wirklich vieles zu lachen, aber das ist nicht alles. Manchmal bleibt einem das Lachen auch im Halse stecken. Der Autor entlarvt durch verschiedene Stilmittel, wohin wir in den letzten zwanzig Jahren unterwegs sind, mit der fortschreitenden Digitalisierung, Social Media und dem Bestellen im Internet. Ich fühle mich mehrfach ertappt. Eines der Stilmittel ist sicherlich Übertreibung, oder auch die leichte Veränderung des Kontexts. So werden Transaktionen nicht mehr mit Unterschrift oder Fingerabdruck abgeschlossen, sondern mit Küssen - da die Lippenabdrücke fälschungssicherer sind.
Die Bewohner:innen in Quality Land heißen mit Nachnamen wie der Beruf des Vaters bzw. der Mutter während der Zeugung. Protagonist ist hier Peter Arbeitsloser. Unnötig zu sagen, dass seine Chancen in dieser Welt nicht sehr gut sind. Mich erinnert das an die Unsitte, dass man früher in Lebensläufe schreiben musste, was die Eltern von Beruf sind. Dies sorgt auch immer mal wieder für Humor, wenn Namen beiläufig erwähnt werden und es Leute gibt mit Nachnahmen wie "Schülerin", "Sexarbeiterin", "Admin" oder "Nonne".
Fast alles wird bei "the Shop" bestellt und man bekommt auch Dinge zugeschickt, die man gar nicht bestellt hat, von denen "the Shop" nur anhand des Profils annimmt, das man sie gern hätte. Nach einer Reihe unterhaltsamer, kurzweiliger Kapitel wird Peter Arbeitsloser dann etwas zugeschickt, das er nicht haben möchte (einen rosa Delfin-Vibrator) und zurückgeben möchte - doch das Zurückgeben klappt nicht, "the Shop" besteht darauf, dass er es wirklich haben will. Maschinen machen schließlich keine Fehler. Der Plot verdichtet sich, als Peter aufgrund dessen feststellt, dass sein Profil nicht stimmt, Was tun?
Durch einen Zufall lernt er Kiki und "den Alten" kennen, Leute, die das System kritisch beäugen und durch die Maschen rutschen. Es stellt sich heraus, dass Peters Profil falsch ist (wobei auch das aufgeklärt wird). Peter ist entschlossen, das Problem zu lösen und bekommt dabei auch sehr originelle Hilfe.
Darüber hinaus wird Peter sympathisch aufgrund seiner chronischen Erfolgslosigkeit und seinem Mitgefühl für Androiden, die er eigentlich verschrotten sollte, dies aber "verschiebt" und sie inzwischen eine illustre Wohngemeinschaft in seinem Keller bilden.
Peter Arbeitsloser ist die Hauptidentifikationsfigur, es gibt aber noch ein paar andere wie "John of us", eine Super-KI, die als Präsident für QualityLand kandidiert und dabei vernünftiger wirkt als alle Menschen, die ihn so umgeben.
Oder Martin Vorstand mit der schwangeren Frau, der zwar nicht sympathisch ist, aber einen Einblick in das Leben in diesem Land bietet, wenn man nicht - wie Peter - ein niedriges Level hat. (Peter hat Level 9, alles unter 10 nennt man auch "Nutzloser").
Jede Nebenfigur wird ganz gut ausgeleuchtet und hat ihre eigene Stimme, bis hin zu den KIs, die auch allesamt eine (mehr oder weniger liebenswerte oder auch nervige) Persönlichkeit erhalten. Das Buch macht viel Spaß. Einiges davon erscheint erschreckend wahrscheinlich für unsere nahe Zukunft, anderes eher nicht. Kann ich nur empfehlen.
Andere Meinungen
Selbst hier gibt es 1-Sterne-Kritiken. Ich habe mir mal einige angeschaut. Viele stört es, dass der Autor eher links ist. Andere mögen es nicht, dass im Hintergrund Lacher zu hören sind (ich fand es dezent und passend). Wieder andere mögen den Stil nicht und finden ihn dilettantisch. Mir ist aufgefallen, dass die Sätze recht kurz sind. Für einen Lesebühnen-Autor finde ich das doch durchaus passend. Wer schon mal Jane Eyre vorgelesen hat, weiß, dass lange Sätze sich schwieriger vorlesen lassen.
Es wird gejammert, es gäbe keinen Plot (der zeigt sich ja auch erst später im Buch) und dieser sei nicht besonders gut. Ich fand es witzig. Ich habe jetzt keinen Plot a la Agatha Christie erwartet. Meiner Meinung nach passt das hier alles ganz gut zusammen.
Sprecher
Es ist doch recht selten, dass der Autor sein Werk selbst liest. Wer aber auf fast zwanzig Jahre Lesebühnen-Erfahrung zurückgreifen kann, kann und soll das bitte machen. Ich stehe auf Marc-Uwes emotionslosen, sehr trockenen Vorlesestil. Wie schafft er es nur, nicht über seine eigenen Witze zu lachen? Liest er es sich selber vorher ein dutzendmal vor?
Herrlich auch das Publikum im Hintergrund, das man lachen hört, aber dezent genug, dass es den Lesefluss nicht stört.
Harte Fakten
Titel | QualityLand |
Autor*in | Marc-Uwe Kling |
Erscheinungsjahr | 2017 |
Seitenzahl | 384 |
Länge Hörbuch | 8 Std 26 |
Sprecher*in | Marc-Uwe Kling |
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