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Starke Charaktere entwickeln? Bin dabei!
Einiges kannte ich schon, für vieles war es aber eine gute Auffrischung und es gab auch neue Tipps. Mein persönliches Best-Of im Überblick (mit eigenen Beispielen gespickt, damit ich es mir besser merken kann):
Je häufiger Erwartungen sich als verkehrt erweisen, desto mehr Spannung wird erzeugt. Wenn Figuren falschspielen, lügen, Eigenschaften verbergen, anders handeln als vermutet, überraschende Wendungen für Staune und Verwirrung sorgen, wird der Leser das mit erhöhter Aufmerksamkeit honorieren.
Ein Beispiel dafür: Wir schauen hier gerade die Serie "the One". Die Serie ist mittelmäßig. Allerdings kam es zu einer überraschend guten Szene, als der Bodyguard der Antagonistin an einer Stelle von ihr aufgefordert wurde, einem Widersacher ins Knie zu schießen, da dieser nicht kooperierte. Der Bodyguard überlegte, zögerte, nahm dann die Waffe herunter und sagte: "Nein, das mache ich nicht".
Das war das erste Mal, dass ich so eine Reaktion erlebt und es war so erfrischend und überraschend, dass die Serie mir gleich viel besser gefiel, ganz zu schweigen von der Figur, die plötzlich eine unerwartete Dimension hinzugewann.
Um Komplexität zu erreichen, sollten Sie Ihren Hauptfiguren zumindest eine Eigenschaft mitgeben, die 'außerhalb des Normbereichs' liegt, also vom Durchschnitt abweicht.
Kürzlich haben meine Tochter und ich das Hörbuch von Tom Sawyer gehört. Zumindest aus heutiger Sicht sind Tom und auch Huckleberry extrem abergläubisch, was sie für uns interessant machte. Ganz zu schweigen von dem Wagemut.
Bei der Kinderbuchreihe Dolly von Enid Blyton ist unsere Tochter außerdem begeistert von einigen übertriebenen Eigenschaften wie der sehr vergesslichen Irene oder der außerordentlich scharfzüngigen Alice.
Positive Helden sollten mindestens ein Laster haben, negative eine positive Eigenschaft.
Man denke an den gebildeten und sehr höflichen Hannibal Lecter oder den opiumsüchtigen Sherlock Holmes.
Im Alltag ist man meist so sehr um Harmonie bemüht, dass es schwer ist, diese Haltung aufzugeben, insbesondere, wenn eine Figur der eigenen Biografie nahesteht.
Das ist mein größtes Laster beim Schreiben. "Mehr Konflikt wagen" könnte ich mir als dickes Plakat an die Wand nageln. Man denke nur an Game of Thrones, einige verlieren Körperteile und geliebte Familienmitglieder und unerwartet stellen sich Figuren als Verräter:innen und/oder Feind:innen heraus. Ich tu beim Plotten demnächst so, als sei ich Georg R. R. Martin.
Der Schauspieler Ralf Hoppe [...] sagte: "Das Böseste an einem bösen Charakter sind seine guten Seiten."
Cool. Denn sonst könnte man ihn in Ruhe hassen. Ich denke da an Benjamin Linus von LOST, der sich aufrichtig um Kinder sorgte und nicht wollte, dass sie zu Schaden kamen.
Hier ein paar Worte zu Show don't tell (oder tell, don't interpret):
Sie schildern das Äußere einer Figur möglichst neutral und der Leser schließt daraus: "Was für ein hässlicher Mensch!"
Ich habe mir eh vorgenommen, Wertungen wie "hübsch" oder "hässlich" zu unterlassen, meine Protas haben ab sofort ggf. äußerliche Merkmale, aber ob sie schön oder unschön sind, wird nicht mehr erwähnt. Auch nicht, indem ich sie beschreibe, so dass die Lesenden alle zum gleichen Schluss kommen müssen.
Achten Sie auf Details. Ihr Protagonist trägt Jeans? Das ist unspezifisch. Ist es eine Designerjeans für dreihundert Euro, eine Billighose von H & M, eine klassische Levis 501, eine topaktuelle Röhrenjeans mit Blumenprint? Jede Hose charakterisiert einen anderen Typen, jede Marke generiert ein anderes Image.
Das ist einleuchtend. Unspezifisches nervt mich ja auch bei anderen Beschreibungen.
Entscheidend für die Dramaturgie eines Erzähltextes ist, dass die Hauptfiguren ein (für den Leser erkennbares) Ziel hat, also etwas, was sie unbedingt erreichen will.
Ziel Harry Potter: Voldemort besiegen.
Ziel Roland Deschain (aus Stephen Kings dunkler Turm-Reihe): Den dunklen Turm erreichen und besteigen.
In den meisten Krimis: Täter:in fassen oder aus Sicht der Täter:in: Ungestraft davonkommen.
Liebesroman: Person of Interest für sich gewinnen
Sinnvoller Link: Sabine Asgodom entwickelte ein Motivationraster aus 24 Begriffen. Das ist leider aus einem Buch zitiert, daher kann ich nicht einfach so darauf verlinken und man hat alle Begriffe. Als Beispiele werden genannt:
Ruhm, Herausforderung, Spaß, Geld, Freiheit, Erfolg, Harmonie, Abenteuer, Macht, Status, Sinn, Sicherheit.
Über den Kapitelwechsel, wenn es mehrere Perspektivfiguren gibt:
Sie sollten immer dann wechseln, wenn die jeweilige Perspektivfigur sich in auswegloser Lage befindet, wenn sie kurz vor einer Entscheidung steht oder der Kampf seinem Höhepunkt zustrebt.
Das ist zwar bekannt, aber eine Auffrischung schadet nicht. Gut zu beobachten ist das bei der ersten Hälfte der Expanse-Reihe. Es wird abwechselnd aus Holdens und Millers Sicht berichtet, leider treffen sich die beiden in der Mitte des Buchs und erleben ihre Abenteuer ein paar hundert Seiten lang größtenteils gemeinsam, weshalb das mit den Cliffhangern nicht mehr ganz so gut klappt.
Fazit
Eine ganz gute Ergänzung, wenn man schon ein paar Schreibbücher kennt, hält aber mit Sol Stein und co. nicht mit.
Harte Fakten
Titel | Helden, Helfer und Halunken: Perfekte Figuren für Ihren Roman |
Autor*in | Isa Schikorsky |
Erscheinungsjahr | 2014 |
Seitenzahl | 216 |
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