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Das Hotel New Hampshire von John Irving

Harte Fakten

Titel Hotel New Hampshire
Autor John Irving  
Erscheinungsjahr 1981 
Seitenzahl 608 
Länge Hörbuch 20 Std. 30 
Sprecher Rufus Beck 

Inhalt

Eigentlich ist der Titel irreführend. Es kommt nämlich nicht nur ein Hotel New Hampshire vor. Es gibt derer drei im Laufe der Handlung, die sich immerhin über mehr als vierzig Jahre erstreckt. Entsprechend lang und dick ist das Buch auch.

Bemerkenswert: Ganz anders als fast alle anderen Bücher, die ich so lese, entwickelt es seinen Spannungsbogen spät. Eher so nach vierzehn Hörstunden wird es spannend. Vorher plätschert es so dahin, wenn es auch nicht uninteressant ist und mich mit den Figuren eine lose Freundschaft verbindet. 

Während fast alle anderen Büchern am Ende hin abnehmen und ich selten mit einem Schluss so rundum zufrieden bin, endet das Hotel New Hampshire so nett, dass mir fast die Tränen kommen. So nah bin ich John, Franny und Susie dem Bären inzwischen gekommen.

 

Aufgrund der Länge des Romans und der vielen Hochs und Tiefs kann ich auch fast jede Meinung akzeptieren, die jemand äußert. Langatmig? Ja. Bemerkenswert? Ja. Tabu-Themen? Ja. Nur eines ist es sicher nicht: Schlecht geschrieben. Irving hat es drauf, mich sogar zum Weiterhören zu bewegen, obwohl eigentlich nichts wirklich passiert.

 

Vor etwa dreißig Jahren habe ich den Film gesehen, wenn der auch sicher deutlich heruntergedampft wurde und daher einige Probleme des Romans nicht hat und auch einige Vorzüge nicht. Außerdem habe ich nur noch sehr vage Erinnerungen an Jodie Foster als Franny.

 

Es handelt sich hier um eine ungewöhnliche Familiengeschichte. Es startet in den Vierzigern, als die Eltern zusammenkommen und endet circa in den Siebzigern. Erzählt wird in der Ich-Perspektive von John, dem mittleren Kind von fünf. Er hat zwei ältere Geschwister: Frank, der Älteste, ist homosexuell. Das spielt aber kaum eine Rolle (eigentlich genauso, wie es sein soll). Franny, seine nur ein Jahr ältere Schwester, kann man fast als Hauptperson des Buchs bezeichnen, und es ist früh klar, dass John sie liebt. 

Jünger sind Lilli, die kaum wachsen möchte und später Schriftstellerin wird, und der jüngste, Egg, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er schwerhörig ist und ständig "Was?" fragt, weil er etwas nicht verstanden hat. 

 

Die Geschichte spielt sowohl im Nordosten der USA, in der Hauptsache in Maine und New York, als auch einige Jahre lang in Wien. Neben den fünf Kindern und ihren Eltern und anfangs auch noch dem Großvater "Iowa Bob" spielen der Wiener "Freud" (nein, nicht DER Freud) und Susie, der Bär, noch tragende Rollen im Leben der Familie. Man muss sich viel Zeit nehmen, um in diesen Roman einzutauchen. Ich habe locker drei Wochen für das Hörbuch gebraucht.

 

Es gibt sehr viele witzige Details, die in Erinnerung bleiben. Das erste Hotel New Hampshire ist eine alte Schule, die in ein Hotel verwandelt wird. Doch im dritten Stock gibt es diese kleinen Toiletten. Oder die Bedienstete, die John für Sex Geld abknöpft und dann damit aufhört, als ihr klar wird, dass Prostitution in den USA illegal ist. 

Wie John und seine Geschwister via der Sprechanlagen in den Zimmern die Gäste und auch die Familie abhören. Dann "Kummer"; der Hund, der eingeschläfert und ausgestopft wird und ständig die Leute erschreckt.

 

Heftig, die Gruppenvergewaltigung Frannys. Sehr viele Stunden hadere ich auch damit, wie mit Vergewaltigungen umgegangen wird in diesem Buch, aber am Ende versöhne ich mich damit, weil letztendlich die Botschaft klar rüberkommt, dass der Umgang damit eben sehr individuell ist. Der Werdegang von Susie, dem Bären, ist hier maßgebend für mich. Zunächst meint sie, sie wüsste alles, weil sie die Erfahrung selber gemacht hat. Dann wächst sie aber und gewinnt an Erfahrung und sieht schließlich ein, dass es anders ist. Das ist großartig.

  

Nachdem etwa vierzehn Stunden (!)  um sind, entwickelt sich tatsächlich eine Art Spannungsbogen. Es stellt sich heraus, dass die Terroristen im Wiener Hotel New Hampshire einen Terroranschlag planen, außerdem wird endlich die nicht nur geschwisterliche Liebe zwischen dem Ich-Erzähler John und seiner Schwester Franny offensichtlich. Das Thema Inzest wird hier meiner Meinung nach sehr gelungen und respektvoll behandelt. Besser (wenn auch ganz anders) ist das meines Wissens und meiner Meinung nach bisher nur Paul Auster in "Invisible" gelungen, wenn ich auch natürlich einräume, dass ich das Thema bisher höchstens ein halbes Dutzendmal gelesen habe.

 

Es wird ziemlich viel und meist ohne Vorwarnung gestorben. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig. Da die Figuren nicht so recht beim Trauern beobachtet werden, fällt es mir selber auch schwer, den Figuren hinterher zu trauern. Das ist womöglich Absicht.

 

Insgesamt habe ich das Buch eher genossen. Ich würde mehr von dem Autor lesen, zumal mir gesagt wurde, dass er spannenderes geschrieben hat. Erst einmal liegen aber noch mehr als dreißig andere Bücher auf meinem SUB und sicher hundert auf der Merkliste. Das hat also keine Eile.

 

Sprecher

Ich höre Rufus Beck sehr gern. Manchmal trägt er etwas dick auf - siehe, wie er Dobby bei Harry Potter liest. Hier ist der Schweizer Dialekt bei Freud manchmal etwas viel für mich. Aber eben auch passend. Insgesamt ist er ein toller Sprecher!

 

Trivia

Einer meiner Follower:innen bei Twitter hat angemerkt, dass er ein anderes Buch von Irving, Owen Meany, fast nicht gelesen hätte, weil es einen irre langen ersten Satz hat. Siehe sein Beitrag bei Instagram.

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