Harte Fakten
Titel | Stolz und Vorurteil |
Autor*in | Jane Austen |
Erscheinungsjahr | 1813 |
Seitenzahl | 320 |
Inhalt
Ich habe ENDLICH Stolz und Vorurteil gelesen.
Das Hörbuch besitze ich seit locker zehn Jahren, das Buch steht bei meinem Mann im Regal und ich habe seit Monaten das Ebook auf dem Tolino und somit stand der Roman schon eine ganze Weile auf meinem SUB.
Mir war klar, dass ich nicht die Hauptzielgruppe dieses Romans bin. Das ist ja eher ein Roman für solche, die von einer Hochzeit in Ivory träumen. Dachte ich jedenfalls. Nach ein paar dutzend Seiten wurde mir dann aber klar, dass ich den Roman falsch eingeschätzt, und vor allem, unterschätzt hatte.
Man möchte auch meinen, es ginge in dem Buch nur darum, fünf Töchter aus recht gutem Hause noch ein wenig besser verheiratet zu bekommen. Well. I could not care less, würde mein Großvater da sagen. Zum Glück ist das nur die vordergründige Handlung. In einer der ersten Szenen vermute ich bereits, dass es auf eine Liebesgeschichte mit dem "Bad Boy" Mr. Darcy und der zweitältesten Tochter, Lizzy, hinauslauft. Hundert Seiten später stelle ich erleichtert fest, dass die Autorin beschlossen hat, dem noch ein paar Steine in den Weg zu legen und dieser Handlungsstrang eigentlich dazu dient, die damalige Gesellschaft zu malen, was sehr gut gelungen ist.
Außerdem gibt es ein paar gute Gedanken, die ihrer Zeit doch weit voraus zu sein scheinen. Das völlig absurde Erbschafsrecht, dass auch bei Wuthering Heights eine große Rolle für den Plot spielt und auch bei der erfolgreichen Serien Downtown Abby bereits wichtig ist, wird auch hier zentral: So richtig erben können nur männliche Verwandte. Mr. Bennet kann keiner Tochter etwas vererben und auch seiner Frau nicht. Erbberechtigt ist ein recht entfernter Vetter. Dieser taucht auch nach ein paar Kapiteln auf, wild entschlossen, eine der Töchter zu ehelichen. Leider ist er nicht sonderlich attraktiv für die zweitälteste Tochter Lizzy. Immerhin, so stelle ich erleichtert fest, durfte man damals Heiratsanträge auch mal ablehnen als Frau.
Der Hype um den Roman hat mich schon während meines Studiums gewundert, da gab es eine Serie mit Colin Firth und später einen Film mit Keira Knightley. Beide habe ich nie gesehen. Ich hatte also wenig Ahnung, worum es geht, als ich mit dem Roman startete. Das englischsprachige Hörbuch habe ich ebenfalls zeitgleich gehört, aber hauptsächlich die deutsche Übersetzung gelesen.
Das absolut Beste an dem Buch ist die leise Ironie, hauptsächlich kommt diese von der Hauptfigur Elizabeth "Lizzy", oder auch von ihrem Vater, Mr. Bennet. Sehr schön ist vor allem, dass diese Ironie nie aufgelöst wird - wir können sie also auch überlesen oder total ernst nehmen.
Sehr ungewohnt von heute aus ist der ständige Standesdünkel, der sich wie in Korsett um die Denkweise der Figuren legt und aus dem sie sich nie richtig befreien können, auch wenn sie vereinzelt die Entscheidung treffen, etwas trotzdem zu machen. Das bedeutet dann aber nicht, dass sie den Standesdünkel generell in Frage stellen oder sich davon frei machen, sondern lediglich, dass sie sich entscheiden, etwas trotzdem zu tun. Ebenfalls ungewohnt ist auch die Lebensweise in dieser Schicht. Arbeiten die denn nie? Es kommt bestenfalls mal ein Soldat oder ein Geistlicher vor. Das Essen kochen andere. Frauen haben eigentlich kaum echte Aufgaben, es wird höchstens ein bisschen gehäkelt und musiziert, ansonsten gibt es so viel Müßiggang, jedenfalls bei unverheirateten Frauen. Ist frau erst verheiratet, gibt es gesellschaftliche Aufgaben, die einen offenbar recht in Beschlag nehmen können. Verheiratet zu sein ist das Hauptziel der Frauen in einem bestimmten Alter. Da erleichtert es mich, dass die Autorin selber gar nicht verheiratet war. Eine Rebellin?
Einige Szenen muten doch sehr modern an. So das Gespräch zwischen der verliebten Jane, Lizzys älterer Schwester, die gerade einen Brief der Schwester ihres Angebeteten erhalten hat. Das liest sich wie jene Gespräche, die ich vor zehn bis zwanzig Jahren auch oft geführt habe a la: "Was glaubst du ist damit gemeint? Kann ich ihn jetzt abschreiben?" Auch wenn wir damals eher SMS und Emails analysierten statt echter Briefe.
Was das Setting betrifft, bewegen sich die Figuren eher im luftleeren Raum. Landschaft wird quasi nie beschrieben und Häuser auch nur sehr selten, es heißt dann höchstens "es war prunkvoll" und wir müssen dann sehen, was wir uns darunter vorstellen.
Menschen werden zwar beschrieben, aber auch eher so: "Er war stattlich" oder "Sie war nicht so schön wie ihre Schwester", es gibt quasi nichts zu sehen. Ich als Leserin erfahre nichts über Haarfarben oder gar Augenfarben, bestenfalls mal über den Körperbau oder ob jemand beispielsweise freundliche Augen hat. Es gibt bei der Beschreibung der Figuren mehr Interpretation als Bild. Hier ein Beispiel:
"Sie sah nicht so gut aus wie ihr Bruder, aber aus ihren Augen sprach ein lebhafter Verstand, und ihr Auftreten war angenehm und bescheiden."
Visuell bekomme ich also kaum etwas zu bieten, aber die Dialoge gehen sehr gut ins Ohr. Ich kann sie förmlich hören. Die Sprache liest sich nicht schwierig, obwohl sie ganz eindeutig zweihundert Jahre alt ist. Sowohl das englische Original (das ich nebenher als Hörbuch hörte) als auch die Übersetzung lesen sich sehr gut.
Witzig auch: Es ist gar nicht romantisch, wie ich es erwartet hatte. Weder romantisch, noch schwülstig. Alle Hochzeiten finden "im Off" statt. Ich hatte als Showdown eine Hochzeit in Weiß mit viel Tamtam erwartet - aber alles ist sehr neutral und die letztendliche Szene des Liebesgeständnisses erstaunlich erwachsen und vernünftig. Kein Wunder, dass es auch einige Herren in meinem Bekanntenkreis gibt, die das Buch sehr schätzen.
Auch was die Gefühle betrifft, werden diese einfach benannt und eher selten gezeigt. Anfänglich fand ich die ständigen Behauptungen sehr anstrengend, ich gewöhnte mich aber schnell daran. Es gibt nur weniges, das ich mir selber erschließen darf - so zum Beispiel die Ironie, die ja auch nie aufgelöst wird, was daher einen großen Lesespaß ausmacht.
Der Plot des Romans ist wirklich gut und durchdacht, meiner Ansicht nach darf keine Nebenhandlung fehlen, da sie alle gemeinsam erst zu dem führen, was am Ende geschehen kann. Es ist alles lebensecht, authentisch und absolut glaubhaft. Die Figuren - auch die Nebenfiguren - sind interessant, überzeugend und mehrdimensional. Obwohl die Handlung sehr, sehr weit weg von meiner Lebensrealität ist (und der Schluss des Romans auch von Anfang an fest steht und auf der Hand liegt), interessiere ich mich an jeder Stelle für den Fortgang. Es gibt keine Plotholes. Im Gegenteil. Zuweilen geschehen ganz unerwartete Dinge.
Es ist kein Roman, denn ich mal schnell weglesen kann. Jeder Satz kann eine entscheidende Information enthalten, zumal sich die Autorin ja fast nie mit Beschreibungen aufhält und der Text fast nur wichtige Gedanken, Briefe und vor allem sehr viel Dialog enthält. Daher habe ich mich auch ganze sechs Tage mit dem Roman aufgehalten, obwohl er gar nicht so dick ist.
Bei wikipedia lese ich, es sei nicht "nur" ein Liebesroman, sondern auch Gesellschaftsstudie. Für mich ist er sogar fast ausschließlich Gesellschaftsstudie. Auch wenn ich selbstverständlich eine Liebesgeschichte erkennen kann, ist das doch für mich nicht das Hauptaugenmerk des Romans. Außerdem ist bereits bei der ersten Begegnung der Figuren Lizzy und Darcy für mich klar, dass diese am Ende zusammenkommen werden - auch wenn ihnen vierhundert Seiten lang sehr nachvollziehbare Dinge dazwischen kommen.
Insgesamt bin ich zwar nicht die Hauptzielgruppe - Hochzeit in Hemd und Hose hin oder her - finde aber, dass dieser Roman absolut zu Recht noch immer so beliebt ist. Da steckt deutlich mehr dahinter, als man aufgrund eines kurzen Trailers mit Keira Knightley meinen mag und es macht absolut Spaß, es zu lesen.
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