Harte Fakten
Titel | Amerikanisches Idyll |
Autor | Philip Roth |
Erscheinungsjahr | 1997 |
Seitenzahl | 464 |
Inhalt
Nachdem ich mit Wuthering Heights fertig war, wollte ich mich mit etwas leichter Lektüre belohnen. Ganz gelungen ist mir das mit diesem Roman nicht, der war auf seine ganz andere Art und Weise ebenfalls schwere Kost.
Philipp Roth kannte ich bereits von Exit Ghost, das ich als Hörbuch sehr genossen hatte. Danach wusste ich gleich: Ich brauche mehr. Womöglich sogar alles. Eigentlich wollte ich mit "Der menschliche Makel" beginnen, stellte aber bei meiner Recherche fest, dass es Teil der amerikanischen Trilogie ist:
- Amerikanisches Idyll
- Mein Mann, der Kommunist
- Der menschliche Makel
Ich begann vorn. Ordnung muss sein. Auch in "Amerikanisches Idyll" hat der Protagonist Nathan Zuckerman seinen Prostatakrebs und die damit verbundene Operation bereits hinter sich und leidet unter Inkontinenz. Aber um Zuckerman geht es hier gar nicht, dieser verschwindet auch nach circa einem Drittel des Romans komplett im Hintergrund und es geht nur noch um Seymor, den Schweden, den Zuckerman kennt, weil er der ältere Bruder seines Schulfreundes Jerry ist.
Noch erwähnen möchte ich aber gern das Klassentreffen Zuckermans zu Beginn des Romans. Alle zählen bei der Vorstellung ihre Kinder und Enkel auf, nur Zuckerman hat keinerlei Nachwuchs. Damit konnte ich viel anfangen, bei meinem letzten Klassentreffen (20 Jahre) haben zumindest die Frauen auch stets ihre Kinder aufgezählt und ich fand es erfrischend, als eine kam und sagte: "Ich hab nichts akquiriert. Kein Kind, keinen Mann."
Man lernt hier erstaunlich viel über die Herstellung von Damenlederhandschuhen. Wirklich, ich hätte nie gedacht, dass das so schwierig und so eine hohe Kunst ist. Das fand ich tatsächlich spannend und gut dargestellt. Roth muss ausgiebig dafür recherchiert haben.
Der Erzähler Zuckerman konzentriert sich hier sehr klar auf die Familie des "Schweden". Dieser ist im Handschuhgeschäft tätig, erbt die Firma von seinem Vater. Die Erzählung fokussiert auf dessen erster Ehe mit einer ehemalige Schönheitskönigin. Sie bekommen eine Tochter, Merry, und ziehen auf's Land. Ehefrau Dawn beginnt eine Rinderzucht. So weit, so das amerikanische Idyll. Auch als die Tochter stottert und die Psychologin unterstellt, dass dies eine absichtsvolle Macke ist, bleibt es noch im Rahmen. Erst als Merry mit sechzehn das Postamt in die Luft sprengt und dabei ein Mann stirbt, wird das Idyll sehr nachhaltig und plötzlich zerstört.
In der Schlüsselszene besucht Seymor "der Schwede" die Witwe des Mannes, der dabei ums Leben kam. In einer gekonnten und sehr grausamen Beobachtung bemerkt diese:
"Ich habe meinen Mann verloren, meine Kinder haben ihren Vater verloren. Aber Sie haben etwas noch Wichtigeres verloren. Sie sind Eltern, die ein Kind verloren haben."
Wenig später setzt sie hinzu, leider ebenfalls zutreffend:
"Sie sind ebenso Opfer dieser Tragödie wie wir. Nur mit dem Unterschied, dass wir als Familie fortbestehen werden. Und mag es noch so lange dauern, bis wir uns von dem Schlag erholt haben, wir werden uns auch weiterhin lieben können. Denn unsere Erinnerungen sind unversehrt gelieben und können uns trösten. Uns wird es nicht leichter fallen als Ihnen, in einer so sinnlosen Tat einen Sinn zu finden. Aber wir sind die gleiche Familie, die wir waren, als Fred noch lebte, und damit können wir leben."
Da steckt eine Menge drin. Das ist meiner Meinung nach genau das, worum es in diesem Roman geht. Wie geht also der Protagonist, bei dem es im Leben sonst immer super gelaufen ist, damit um? Wie lebt er damit? Wie hält der die Liebe zu seiner Tochter aufrecht? Wie geht seine Frau damit um? Wie kann er damit weiterleben?
Seine Tochter, statt sich zu stellen, verschwindet im Untergrund, er sieht sie lange nicht wieder.
Einige Szenen in dem Buch sind schwer zu ertragen. Insgesamt ist der Roman eher subtil und tiefgründig, lässt sich Zeit und beleuchtet die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln. Roth gelingt es, sich in die Figuren hineinzuversetzen und kriegt mich mit Details. Erstaunlich gut setzt er sich damit auseinander, wie eine Schönheitskönigin nicht auf ihre Schönheit reduziert werden will. Obwohl der Autor nie Kinder hatte, gelingt es ihm, Vaterliebe einzufangen. Seine Menschenkenntnis und seine Bereitschaft, sich auch auf dunkle Pfade der menschlichen Seele zu begeben, lese ich an vielen Stellen heraus.
Vielen Lesenden war der Roman zu langatmig, zu durchgekaut, zu reflektiv. Zu urteilend. Man hätte es natürlich distanzierter machen können, ich hätte mich damit aber alleine gelassen gefühlt. Ich schaffe es durchaus trotzdem, mir mein eigenes Urteil zu bilden und mich von den Figuren zu distanzieren, gerade weil sie mich sehr nah an sich heranlassen. Man kann auch nicht gerade sagen, dass zu wenig passiert. Es geschieht sogar mehr als bei Exit Ghost und es gibt eine klarere Linie. Die anderen Romane von Roth werden nach und nach folgen, da habe ich ja noch viel zu tun.
Kommentar schreiben