Hexenlied von Antonia Michaelis

Harte Fakten

Titel Hexenlied
Autor*in Antonia Michaelis
Erscheinungsjahr 2019
Seitenzahl 400

Inhalt

Es ist nicht ganz leicht, gute Kinder- und Jugendbücher zu bekommen. Zumindest lese ich davon und greife auch selber oft daneben.

 

Hier werden die Jugendlichen jedenfalls nicht unterfordert - und authentisch liest es sich außerdem. Protagonist Tim hat soviel Tiefe, dass so mancher Erwachsenenschriftsteller sich ein Beispiel für seine Charaktere nehmen könnte. Ganz zu schweigen von der weiblichen Protagonistin Lillith, "la bruja". Auch alle Nebencharaktere sind alles andere als eindimensional.

 

Die Theatergruppe um Herrn Wegner besteht hauptsächlich aus Elfklässlern, aber auch aus Zehntklässlern, ausnahmsweise ist in diesem Jahr auch eine Zwölfjährige dabei. Sie proben ein mexikanisch anmutendes Stück um eine Hexe - diese Rolle wird schon bald mit Lillith besetzt, der Neuen. Mit Lillith werden die Szenen für Tim seltsam echt. Nicht nur für Tim, wie es scheint.

 

Lillith sorgt dafür, dass einige integriert werden, die vorher eher abseits standen, wie die muslimische Mitschülerin oder die osteuropäische Putzfrau, die immer schon mal auf der Bühne stehen wollte.

 

Im ersten Akt kommen Tim und Lillith sich zumindest menschlich näher, auch einige der Kumpel von Tim gewinnen mehr Tiefe, so wie der Frauenheld Lars, der hinter seiner Wohlfühlfassade ebenfalls seine Probleme hat. Oder Wenzel, der dem Alkohol sehr zuspricht.

 

Michaelis' Charaktere sind nicht perfekt und gerade das maht sie so echt. Es sind echte Jugendliche aus Fleisch und Blut, die rauchen, mal zu viel saufen oder schon vor dem Führerscheinerwerb das Auto der Eltern ausborgen. Wer anders ist, wird beäugt.

 

Die Ebene mit dem Theaterstück hat mir weniger zugesagt, auch wenn ich einsehe, dass es für die Geschichte unerlässlich ist. Einige Szenen haben mich sofort in meine eigene Jugend zurückkatapultiert. Eine Party ohne Eltern. Ein Junge, der zuviel trinkt und sich in Gefahr begibt. Ein Auto ohne Licht durch die Nacht fahren. Da erinnert sich jemand sehr lebhaft und schreibt ohne zu zensieren. Das ist großartig.

 

Im zweiten Akt, als die Jugendlichen mit ihrem Theaterlehrer und essen Freundin für eine Woche im Theatercamp verschwinden, abgeschieden von der Zivilisation, wird es dann sehr klassisch. A la "the hole" oder "und dann gabs keines mehr". Oder doch ein wenig anders?

 

Atmosphärisch kann man Michaelis nicht so leicht das Wasser reichen. Sie ist eine ganz große deutschsprachige Jugendbuchautorin. Zwischendurch habe ich ihr den Plot nicht gänzlich abgekauft, auch nicht mit dem Gedanken, dass es phantastische Elemente geben darf. Es klärt sich aber alls auf, daher darf es wohl auch ein wenig wilder sein.

 

Das Geheimnis von Tim erahnt man früh, trotzdem ist es gut gemacht. Es ist sehr gut aufgebaut und auf respektvolle, gute Art aufgelöst.

Dasss er stets Watte in den Ohren trägt deutet Hypersensibilität an, ohne sie auszuprechen. Seine Andersartigkeit, die ihn immer mal wieder beunruhigt, ist nicht plakativ, sondern subtil. Hier wird den Jugendlichen gut zugetraut, damit umgehen zu können und ich bin sicher, das können sie auch.

 

Tatsache ist, das Buch ist recht preisintensiv. Ich war so neugierig, dass ich es trotzdem gekauft habe. 15 Euro für ein Ebook ist schon amtlich. Daher kann ich verstehen, wenn man zögert. Nachdem ich aber in letzter Zeit ab und zu mal Jugendbücher gelesen habe und daher den Vergleich besser habe, was die Alternativen sind, denke ich: Das ist ein lohnendes, gutes Buch. Es thematisiert das Anders-Sein auf eine gute Weise. Lillith ist ein Mädchen, das Mut zum Ich-selber-sein und zum Anders-Sein hat, das ich meinen Kindern (im entsprechenden Alter) gern nahebringen möchte. (Auch wenn ich unfroh wäre, würden sie derartig wenig essen.)

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